Le Havre

Intermezzo zu Hause
die Fahrt mit dem Zug durch die Boucles de Seine war zauberhaft schön- welliges Land, schwelgerisch mit Grassamt ausstaffiert, die Seine oder ihre Seitenarme biegsam und elegant mäandernd, verschwenderische Faltungen, anmutig mit Pappeln und Weiden gesäumt, graziös und lieblich. Nach Tagen des metallisch schimmernden Wassers eine Verwunderung über diese Farbverschwendung und Formenfülle. Die Windstille der geschlossenen Räume wird wahrnehmbar.
Großes Glück, die Kinder und Freunde wiederzusehen, gemeinsam zu speisen und miteinander zu sprechen.
Zurück nach Le Havre, viel Sicherheitspersonal im Gare St. Lazare, Frankreich ist deutlich wachsam. Im Museum dÁrt Moderne eine Ausstellung von Philippe de Gobert, Eingeladen zur 500 Jahrfeier der Stadt hat er Le Havre besucht und im Nachgang in seinem Atelier in Brüssel lange gebastelt. Wie Thomas Demand baut er Modelle, die er dann photographiert, beide haben die Lust an der Bastelei und ihrem spielerischen Realismus.. Wie ein Kindergott baut er Szenarien auf, vollständig kontrolliert. Zum Ende ist es nicht das Modell, sondern die Photographie, die das Werk konstituiert. Beim Beobachten sucht das Auge, der interpretierende Verstand nach Inkonsistenzen, nach Eingriffen und Fakes. Kleine Steine haben andere Oberflächen als Große, der Karton der Modelle ist aber struktur-dimensional fast wie Beton, die Leere der Szenarien ist fremd.Als Museumsbesucher lieben wir diese Erkennbarkeit mit Differenzen, an denen wir Schaulust und Denklust empfinden, auch wenn das Modellieren von Realität hier die Ebene der Emotionen, der Menschlichkeit ganz ausblendet.
Am Sonntag erleben wir die Fete de Mer, Gottesdienst mit den Honoratioren der Stadt, ordensgeschmückte Uniformen, scouts marins (See-Pfadfinder) oszilieren zwischen Fahnenträgerwürde und Kinderschabernack, Prozession und Segnung der Schiffe. Mit den Fahrrädern erkunden wir die Steilküste in Richtung Etretat, nach wenigen Metern blicken wir über die azurblaue Bucht.



Le Havre Cherbourg

Neben uns liegt jetzt eine Vindö 45, kommt von einem Pazific-Turn. Respekt! Wir legen nachmittags in der Abendbrise ab. Kurz nach Le Havre überqueren wir den 0° Längengrad. Ab jetzt sind wir im Westen. Der Channel Pilot referiert länglich über die historische Seeschlacht der Unterstützer von James II gegen die Holländer, bei der ein Teil der Flotte in den Stromschnellen bei Alderney, der andere an der Pointe Barfleur in der Brandung unterging, ich habe Respekt vor der Ecke. Damit es noch eindrucksvoller wird, ist Neumond, also nur Sternenlicht und Fischerscheinwerfer. Zwei Boote grasen die ganze Nacht mit einem Netz zwischen den Booten die Fischgründe um uns herum ab, ein paarmal klingt es so, als wären wir gegen Kanister oder sonstwas gerumst, was man so nimmt, um einen Fangkasten zu markieren. Die Abendbrise flaut ab, wir werden mit 5 Knoten vom Strom vorangetragen und alles ist stabil bis Cap Vico, von wo aus wir den Motor anmachen.
Cherbourg empfängt uns mit bestem Sonnenschein, einer modernen, tip top angelegten und gepflegten Marina, einem sehr guten Willkommensinfopaket und normannischen Keksen. An der Promenade Palmen und Agaven- muss man eigentlich weiter nach Süden? Im Hafen tragen einige Boote Aufkleber und Wimpel vom Fastnet-Race 2021 (Hier war Mitte August Station der Etappe Cowe/Cherbourg) wahrscheinlich wird das Boot an der Stelle nie wieder geputzt.
Der Marinehafen, so wie auch die große Wiederaufbereitungsanlage ein paar Kilometer weiter westlich sind bei Google verpixelt.

Zeebrügge/Brügge/Gent


Von Scheveningen mussten wir das Maas-Scheldedelta bei Gegenwind unter Motor queren, ein Rodeoritt bei kabbeligen Wellen: Bei Gezeit gegen Wind sind die Wellen steiler und mächtiger, im Delta kommen noch die Queerströmungen der Wassermassen von Maas (Rhein) und Schelde dazu. Das erste Mal habe ich Laute des Unmutes über Wellen von Jürgen vernommen. Hafen ist riesig und stark industriell, ganz hinten liegen wir im ehemaligen Fischereck. Um uns herum die mittlerweile bekannte Hafenurbanisierungsbebauung, ein, zwei Geschosse niedriger, einige beleuchtete Fenster und die französische gedimmte Natriumdampfbeleuchtung, fast gemütlich. Mit der Küstentram und Bus nach Brügge. Blankenberge will Seebad sein, Charcuterie und Käseladen sehen lecker französisch aus. Ein Haus mit Art Deco decoration, also der Zeit, als die Walfischbein-Korsetts grade abgelegt wurden, steht mit hängendem Dach zwischen höhergezogenen Stahlskelett-Appartmenthäusern, die Häuser, egal wieviele Geschosse, bildet geschlossene Straßenfronten und anders als in Den Haag, wo fast alle Straßenzüge gleichförmig aussehen, aber jede Wohnung eine eigene Eingangstür, auf Straßenebene oder in überflutungsgefährdeten Bereichen nur durch eine extrem steile Streppe erreichbar. Diese Gleichförmigkeit mit roten Ziegeln, weißen Linien und Fensterecksteinen kann nur durch eine Developper-Finanzierungsstruktur entstanden sein. Hier dagegen ist jedes Haus anders, jedes Zimmer ein Stockwerk so schmal ist die Fassade, dicht an dicht aneinandergelehnt.
Die mir in Erinnerung gebliebenen riesigen Ebenen von Campingplätzen habe ich nicht mehr gesehen, dafür eine Verkaufsausstellung von transportablem Ferienchalets (die robuste, nicht rollende Version von Wohnwagen). Wie in Schichten gibt es die Erlebnisbebauung gleich am Meer, die Beherbergungsbebauung, dann die Wohnbebauung, dann kommt Gewerbe (Garnelenzuchttechnik, industrielle Kartoffelprodukte und das übliche), Landwirtschaft mit der so heimatlich niederrheinischen Struktur von Pappelreihen, Gräben und Weiden, der Wind lässt die Unterseiten der Blätter hellgrau und salbeifarben flackern.
Ich merke, dass sich mein Blick ändert: einerseits schaue ich aus Bus/Tram seitwärts, nicht nach vorne auf die Straße und sehe dadurch viel mehr. Mich umgeben dort mehrheitlich Menschen, die ihren gewohnten Gängen nachgehen, ins Krankenhaus, zur Schule, zur Arbeit fahren. Draussen, neben dem Fahrradweg, mitten auf dem Land, sitzt eine Familie. Vater Mutter Kind sitzt auf dem Gras, die Fahrräder flach am Boden, die Beine ausgestreckt, die Oberkörper abgestützt, wie aus einem Breughel -Gemälde entsprungen. Auf einer Kreuzung kurz bevor die Stadt steht ein Mann, um die vierzig, herausgerissen aus seiner Behaglichkeit mit orangen Plakaten eingesandwicht, protestierend gegen die Autofahrer, auf dem Plakat kann ich nur Umwelt und Klima entziffern, eine ferne Auswirkung der rabiaten Überschwemmungen weiter östlich.
Ich steige aus und bin am Touristenziel, einem, dass nunmehr mit den anderen Zielen aus zwei Monaten um Würdigung kämpft. Einerseits finde ich das mittelalterlich erhaltene Zentrum schön, ich erinnere mich, wie sehr ich mich vor vier Jahre an der Kulisse von Venedig erfreut hatte, aber ich sehe, wie schwierig es ist, in den Häusern, an denen Tag für Tag massenweise Touristen vorbeigehen, die die possierlichen Häuschen aus einer ganz anderen Zeit bewundern, ein heutiges Leben mit den Möbeln in heutigen Dimensionen, Küchen mit heutigen Utensilien und eine geschützte Privatheit zu leben. Was genau finden wir daran toll? Kaum einer würde heute so dicht am Nachbarn leben wollen, mit so vielen Nachbarn gedrängt. Denken wir, dass ist unsere wirkliche Geschichte? Was davon wirkt wirklich noch- und wie?
Der überwältigende Geruch der vielen Chocolatiers und Waffelbäcker markiert „Belgien“, die chinesischen Spitzen und Gobelintaschen sind sourveniertauglich. Brügge war 2002 Kulturhauptstadt, das Netzwerk der Beziehungen hält und so wird der Sommer kulturell ausgeschmückt. Auf dem Burgplatz Nachwuchsmusiker, grade macht eine Countrysängerin den Soundcheck. Das Concertgebouw -Gebäude ist eindrucksvoll. Leider ist grade heute nix im Programm.
Im Groetehusmuseum die Rogier van der Weyden und den van Eyck bewundert. Unglaublich, wie einen die Gesichter anschauen über die Jahrhunderte hinweg, in hyperrealistischer Ausleuchtung,wie war das möglich in diesen dunklen Ateliers mit Talglichtern?

Beim Umsteigen sehe ich einen älteren Mann, belgische Stoppeln,klobige Schuhe, ihm fehlen Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand. Der Enkel im Kinderwagen, die Enkelin hat den Kinderwagen fest im Griff, rosa Tüllprinzessin. Er richtet ihr die Haare mit der verstümmelten Hand, liebevoll bleibt sie auf dem Kopf liegen, es ist das beste, was ihm passiert ist seit langem, dass er so ein Kinderköpfchen kraulen kann.

Freitagabend ist Ausgehtag, man trifft sich bei Bier und Häppchen, Geselligkeit, auch hier am Hafen, scheint doch zu funktionieren, wird genossen. Bier in Tulpengläsern, von Zartgelb bis Moorbraun leuchten sie, die Gespräche gehen über Tischgrenzen hinweg. In Gent sehen wir dann auch diverse Junggesellenabschiede, viel ist nachzuholen.

Gent gefällt mir gut, der Kern ist mit vielen gut hergerichteten historischen Bauten kompakte Historie, aber es gibt auch viel Neues, eine Universität mit vielen Studenten und, da die Bausubstanz an vielen Stellen an Prenzelberg vor der Gentrifizierung erinnert, scheint auch noch Freiraum zu existieren. Eine exquisite Buchhandlung in der Nähe vom Hauptbahnhof ist gleichzeitig ein Schreibmaschinenmuseum. Schöne belgische Mode (leider auf dem Boot fehl am Platze) ist der Rest der mittelalterlich florierenden Textil und Tuchindustrie. Die Stücke sind teuer, aber man scheint sie zu pflegen: es gibt erstaunlich viele Schneidereien, die Waschsalons haben nicht nur Waschmaschinen und Trockner, sondern auch Mangeln und Bügeleisen. Interessante kleine Läden mit kreativen Dingen. Auf dem Balkon des Theaters entwickeln ein Tänzer und ein junger Schauspieler eine Choreographie im Sonnenschein, zwei Typen in weißen Anzügen schauen der Performance zu. Wie gerne würde ich das Stück sehen in dem diese Szene eingebaut wird!


Den Haag- Rotterdam



an der Straßenbahnhaltestelle ein Nordafrikaner, er schreit, flucht, fleht in allen Sprachen, die ihm auf seiner Migration aufgedrängt wurden, italienisch, holländisch, englisch, Brocken. Ein babylonischer Sprachfluss, der verwirrt ist oder berauscht oder krank oder alles.
Ein paar Stationen weiter sind wir im internationales Viertel, dort sitzen die Botschaften aller Herren Länder, der Friedenspalast und internationale Gerichtshof, Weltforum. Alles ist grün und friedlich und großbürgerlich, man frühstückt im Café und feiert vor dem Ende der Sommerferien oder beginnt schon wieder zu netzwerken. Outlocation, also internationale Umzüge, expat rental, expat dental- selbst auf kleiner Ebene werden internationale Krankenscheine, Visabesorungen etc abgewickelt. Es heißt, 20.000 Mitarbeiter der UN und zuzuordnender Organisationen arbeiten in Den Haag. Die Straßenbahn bringt uns ein bischen weiter über die Centralstation nach Süden hinaus, dort gibt es eine ganz andere Internationalität: Straßen, in denen die kleinen Läden von Menschen aus ehemaligen Kolonien, aus Surinam oder von Menschen geführt werden, die ein immer letzter Krieg nach Holland gebracht hat. Asiatische Nagelstudios, Kebabbuden, Internetcafés. Ein überdünner Mann mit goldener Gletschersonnenbrille späht nervös die Straßenbahn ab, eine Gruppe stiernackiger Männer in Fussballtrikots die anderen Männer, deren Kopf genauso rasiert und gescheitelt ist rituell begrüßt.
Im Photomuseum ist eine Ausstellung Borealis dem Nordwald gewidmet, der die Wälder Alaskas, Kanadas, Russlands, Skandianviens und Nordjapan umfasst und gegenüber dem äquatorialen Regenwald gerne unbeachtet ist. Ausbeuterische Rodung, Brände, Klimawandel betreffen ihn aber ebenfalls in ungeheurem Ausmass. Die Photographien zeigen Baumportraits und Menschen, die in der Unwirtlichkeit des Nordens Baumfäller, Trapper, Feuerwehrmann oder Forscher sind.
Nach Rotterdam müssen wir die Metro nehmen,Vorstadt, Gewächshäuser, Land, Vorstadt, Wolkenkratzer und signature buildings. Rotterdam ist, was die Dichte der Hochhäuser betrifft in einer Liga mit Frankfurt und London. Es ist Sonntag und die zu erwartenden Büroangestellten oder Consultants fehlen im Stadtbild, nur ein paar Touristen und wenige versprengte Einheimische- warum sollte man auch in die Innenstadt fahren. Der Hafen ist riesig und kann von uns mit dem Wasserbus gar nicht ermessen werden. Wir sehen belebte, schöne Parks, Skulpturengrachten und zwischen den Hochhäusern ist viel Raum, für Wind und Licht, für Fahrräder und Fussgänger. Parken ist astronomisch teuer. Ich hatte gehofft, im Architekturmuseum etwas zu erfahren über die Konzepte beim Wiederaufbau der Stadt nach der zweimaligen Bombardierung (durch deutsche und britische Truppen) im WKII, bei der man sogar die Wasserleitungen und Infrastrukturkanäle neu gemacht hat. Ein bisschen scheint es so wie bei Kunst aufräumen gewesen zu sein, die Banken um die Börse herum, die Hotels in der Nähe des Museumsparks, dortselbst verschiedene Museen an einem Platz. Doch der Ansatz des Neuen Instituts für Architektur und angewandte Künste ist anders, eher werden in großen Textblöcken Fragestellungen entwickelt und dazu einige Bilder/Installationen zur Veranschaulichung der Fragestellung gestellt. Beispielsweise zur Nutzung von AI bei der Interpretation von Bildern von Wohnräumen. Dabei greift die AI ein Bildelement auf- Spielzeug in Kinderzimmern oder Bücher in einem Wohnzimmer- und assoziiert dazu Gedanken über Pädagogik oder intellektuellen Mehrwert. In einer anderen Box wird über den Anstieg des Umsatzes von Putzmitteln während der Coronakrise berichtet und über die beruhigende Wirkung von Hygiene-Gesten. Ergänzt wird das aber durch hyper-sensoround getunte Wisch- oder Staubsaugergeräusche, die große Nervosität erzeugen. An anderer Stelle wird Raum bereitgestellt für Abschlussarbeiten von Architekturstudenten. Eher ein Lab als ein Museum, und es regt mich zu der Idee an, dass man einmal zu allen Gebäuden dieser Stadt die Projektbeschreibungen und Genehmigungstexte zusammenstellen sollte.
So frage ich mich, wie die Modernisierung des Scheveninger Hafens konzipiert wurde: International schicke Wohnblöcke (wie in Malmö, Mandal, Kopenhagen etc etc), aber kein Bäcker, kein Einkauf, keine Schule und kein Kindergarten. Eigentlich kann hier nur der Consultant wohnen, morgens im Fitnesstudio bekommt er Kaffee und Croissant, Mittags wird man im Büro verpflegt und abends geht man mit Kollegen/Kunden essen oder der Lieferservice kommt. Vielleicht auch noch der pensionierte Professor.
Wir bleiben noch länger, der Wind ist uns zu heftig- zur Freude der Kiter. Beim Weg zur Düne werden die Beine gesandstrahlt, um die Eingänge der Neubauten bilden sich kleine Sanddünen, die Wüste holt sich die Bauten, die Hypothekenvermittlungen und Maklerbüros zurück. Mit dem Fahrrad die Promenade entlang, Holland Casino und Pier- Brighton und seine Standard-Sommervergnügen lassen grüßen. Die Ferien sind zu Ende, das Wetter ist schlecht, die Wlken hängen tief. Das Beelden an Zee Museum grüßt mit Teletubbyartigen Skulpturen, wir lassen es lieber links liegen. Auf eigenen Fahrradsstraßen zum privaten Museum Voorlinden, 2016 eröffnet, auf einem riesigen Landgut, ein paar Kühe sind Teil der Inszenierung einer gepflegten niederländischen Landidylle, darin eine Version der Kunsthalle von Mies van der Rohe in edlen Materialien, raffiniert angelegter pseudonatürlicher Staudengarten, drinnen internationale Wellness-Kunst vom Feinsten. Aktuell wird Robin Rhode gezeigt, der sudafrikanische Stop – Motion Künstler. Während in Wolfsburg, der Arbeiterstadt, der Aspekt der Arbeit in prekären Vierteln Südafrikas herausgehoben wird, wird hier eher über den Tree-of Life meditiert. Nach vielen Tagen an der frischen Luft, Wind gradezu und spürbar abklingenden Temperaturen genieße ich es, in einem schönen, hellen, luftstillen Raum mit schönen sauberen Dingen zu sein und meine Gedanken spielen zu lassen mit diesen zweckfreien Bildern, aber es ist auch ein wenig ein guilty pleasure unter dem Glassturz. Das Museum könnte genauso gut in Skagen oder auf Usedom stehen und die dort die Möglichkeit einer Art-Idylle postulieren. So ratlos mich das Neue Institut in Rotterdam hinterlassen hat, es nimmt intensiver teil an der Gegenwart und an den spezifischen Situationen in Rotterdam.

Wattenmeer


Der Blick über das Watt bei Ebbe und Sonnenuntergang war köstlich, der Modder sah auf einmal ockergolden aus und glitzerte bis weit draußen, zur Seite weiße Dünenhügel mit fahlgrünem Strandhafer, im Vordergrund marschige Wiese, über wölbt von Kiefern, die chinesische Tuschemaler entzückt hätten. Großartig, dass die Niederländer dieses Gebiet unter die Obhut des Weltkulturerbes gestellt haben
Wir erleben, dass mehr als die Uhrzeit Ebbe und Flut für hiesige Segler viel wichtiger ist: X Stunden vor oder nach Hochwasser ist Abfahrzeit, unabhängig von der Zivilzeit bestimmt der Tidenkalender den Tagesrhythmus. Egal wie viel Windwelle auf der Wasseroberfläche steht, die untergründige Flutbewegung verändert die wahrgenommenen Distanzen, mit dem Strom kommt das Ziel auf einen zu, gegen den Strom kämpft man gegen den Rückwärtssog und steilere Welle an, die Zeit bis zur Ankunft dehnt sich. Ob solche Erfahrung von Kindesbeinen an das Weltverständnis ändert? In Norwegen ist die Grenze zwischen Land und Wasser klar und hart, in Holland ist sie oftmals nicht so eindeutig, es kommt auf die Zeit an, manchmal öffnet sich ein Verbindungsweg auf dem Trockenen im Watt für einen gewissen Zeitraum auf einem veränderlichen, immer neu zu prüfenden Weg, manchmal ist er nicht mehr begehbar.

In vielen Orten an der See ist es einfach möglich, ein paar Meter Höhe zu gewinnen und schon hat man einen panoptischen Blick, das Land liegt vor einem, von oben hat man eine zusätzliche Perspektive, um die Verhältnisse zu sehen: Wo liegen die alten Häuschen, wo die neuen Hotelkomplexe, wo gibt es Felder, die bewirtschaftet sind, wo Tourismusflächen, Man kommt der Karte näher, und denkt, es wäre objektiver. Ist es das? Ist die Küstenline, mit ihrer verwirrenden Inselkulissenschieberei nicht viel stärker eine Schule der Wirklichkeitsfindung?

Die Vielgestaltigkeit der Insel gibt Terschelling auch Raum für Nischengruppen: hinter der ersten Siedlungsgruppe bildet sich die Zeltstadt der Jugendlichen, die am Wochenende anreisen, in der einen Hand einen Rollkoffer, in der anderen eine ebensogroße Soundbox auf Rollen, einer schleppt die Biervorräte- das Wochenende wird Party. Es scheinen Hunderte von der Fähre zu strömen.

Eine andere Nischengruppe sind die Traditionssegler, viele liegen beieinander in der flachen Ecke des Hafens, es wirkt fasst wie ein Jugendlager für Erwachsene und Familien, man erkennt sie an den warmen derben Stiefeln. Ein Dreimaster, der aussieht, als wäre er aus der Zarenzeit reaktiviert worden,kyrillische Buchstaben am Heck, wird allgemein anerkennend begutachtet.

Terschelling bis den Haag

Die Etappe bis den Helder führt uns durch die Waddenzee, Tonnenstrich fahren und beobachten, wie das Land sich hebt. Den Helder ist Standort der Beneluxmarine, wir liegen im Yachtclub der Marine umgeben von allem, was die Niederlande und Belgien an schweren Fahrzeugen aufbieten. Die Clubanlagen strahlen die Solidität von Kriegsgerät aus, alles groß und schwer. Die Marine der Niederlande ist, bei knapp einem Fünftel der Einwohner Deuschlands etwa halb so groß wie die Deutsche Marine und macht einen durchaus mächtigen Eindruck.

Von den Helder nach Ijmuiden zum drittgrößten Fischhafen der Niederlande. Der Hafen macht nicht den Eindruck eines Fischhafens, sondern eines rauchenden Industriehafens mit Verhüttungswerk und großen Schütthalden. Dennoch wird der Strand gesäumt von Badehausreihen, quasi als Linearisierung der gestapelten Wohnhochhäuser. Der Hafen ist Bestandteil eines in den 90gern gebauten Ferienresorts, Hotel, Kasino, Promenadebauten mit Chinarestaurant und Plastikschäufelchenvertrieb. Ein Windsurf – Basecamp ist später dazugekommen, vergangene Strukturentwicklungsvisionen.
Schließlich kommen wir in Scheveningen an, bei der Einfahrt in den Yachthafen höre ich Fahrradklingeln von oben, wir liegen in einem modernen Stadthafen, vergleichbar mit dem in Malmö. Abends ist er so voll, dass man fast zu Fuß über den Hafen gehen kann, nur eine schmale Gasse bleibt.

Helgoland- Terschelling- Nachtfinsternis II


Zollfreier Diesel! Und dann in Richtung Holland. Im ersten Moment sah es aus, als läge ein weiterer roter Sockel vor Helgoland, sogar mit weißen Spitzen, aber es ist kein Rotsandstein und Lummerschiss, sondern ein riesiges Containerschiff auf Reede. Wir biegen hinter dem Verkehrstrennungsgebiet in die Inshore Traffic Zone ein. Im Grunde 70 Meilen in Richtung West-Südwest. Wir werden dieser Linie bis morgen früh folgen. Der Wind frischt auf und kommt sehr achterlich, unangenehm, dann auch noch Gewitter bei Borkum. Normalerweise leide ich nicht an pavor nocturnus, jetzt habe ich Bammel. Umstandslos wird es dunkel. Gegen Mitternacht taucht kurz eine haardünne Mondsichel auf, verschwindet. Und dann ist es dunkel. Ganz dunkel. Mal wie in einem Kohleschacht, staubig- rußig schwarz am Himmel, manchmal sieht man das Wasser wie ein Flötz glitzern, eher aber bleibt es schwarz, man kann noch nicht einmal die Horizontline sehen, sondern konstruiert sie nur aus den Lichtblitzen von den Leuchtfeuern auf Schiermonikoog und Ameland, eine Handvoll Fischerlichter, das war´s. Eine Zeitlang können wir ein paar Sterne sehen, aber dazwischen ist viel nasse dark matter am Himmel. Wie tröstlich so ein Leuchtfeuer mit seinem Lichtstrahl durch die Nacht streichen kann! Die erste Helligkeit kommt zwei Stunden vor Sonnenaufgang, alles ist noch elefantengrau, ab und an wird ein grünlich leuchtender flatternder Fleck rötlich und flattert lautlos weg, dann haben wir einen Vogel vor uns aufgeschreckt , die Reflektion unserer Richtungslaternen auf dem weißen Bauch einer aus dem Schlaf aufgeschreckten Möve.
Diesmal kein honigsüßes Licht, dass über den Rand des Horizonts über das Wasser ausgegossen wird, sondern einfach wird die obere Kuppel ein kleines bisschen heller und so wurde Himmel und Wasser geschieden. Plötzlich sehen wir einen purpurroten Kreis hinter uns, auf grauem Nebeltuch, Wolke drüber, fertig. Friesisch herb. Weiteres Licht, Regen beginnt, man riecht die nahe staubig trockene Sanddüne feucht werden, dann frischer Wattmodergeruch, Schlamm und Tang. Kleinste Spuren von Nicht-Dunkelheit. Regenwolken wie dunkelgraue Kuhbäuche, grünschlammiges Wasser und schon ist die grade gewonnene Horizontline durch feingestrichelten Regen verloren. Dann werden wir mit einem kräftigen Guss begrüßt, harter süßer Regen. Wieselgrau, Benzinrauchblau, Braunkohlebrandrauchblau, Eisgrau, Maulwurfgrau. Das Wasser schuppt sich, Schaum wie Echsenhaut.
Terschelling klingt nach Sturm: die vielen Leinen, Wanten, Masten sirren in allen Tonlagen, grundiert vom Tuten der Bojen, die auch akustisch auf Prielwege aufmerksam machen.
Vielleicht muss man Nächte sammeln, wie andere Stadteindrücke sammeln, nur dass man Nächte nicht als Reiseziele deklarieren kann und man kann sich nicht rausziehen wie aus einem Ort oder einer Performance, sie kommen, sind da und gehen. Die Romantiker haben sie aufgeladen mit Empfindsamkeit, dem schönen Gefühl, dem Trubel des sozialen Lebens entrückt, der Natur und seiner eigenen Natur nahe. Am Tag drauf ist man aber übernächtig und verkatert, wundermächtigen Rausch stelle ich mir anders vor.

Hvide Sande- Helgoland

während am Tag der Wind noch tüchtig gepustet hat, beginnt mit der Abendstunde die große Flaute. Zunächst als Abendfrieden willkommen, flappen dann bald die Segel, den Rest der Strecke fahren wir unter Motor. Es wird nun schon viel früher dunkel, etwa gegen 11 war es komplett duster. Die vorgelagerten Inseln und ihre Wattregion schirmen alles Licht ab, Städe hinter den Deichen auf dem Festland sind weit weg, kein Streulicht, keine Lichtdome über den Siedlungen. Erst kann man noch unermesslich viele Sterne sehen, dann zieht von den Rändern Nebel und Wolken auf. Unermesslich dunkel, das Wasser liegt wie eine schwarz glänzende Folie oder ein frisch gegossener Teerspiegel, keine Bewegung ausser alter Dünung. Die Windparks liegen wie rote Kristallstrukturen auf dem Wasser, in der nächtlichen Beleuchtung sehen die Serviceeinrichtungen aus wie dystopische Kulissen aus Blade Runner. Leuchtürme blinken stoisch am Rand der dunklen Wasserscheibe, der Himmel ist nur dunkel. Eine gelbe Mondwimper lässt sich kurz blicken, nur sehr wenige Fischerboote sind draußen, wir kommen ihrem gefrässigen Getöse und Geblinke nicht nahe. Die Morgendämmerung kommt spät, auf den Lichtfeldern, die Helligkeit von ersten grauen Rakelschlieren bis zu klaren transparente, transzendenten Turell-Flächen strahlen, darauf hängen Wolken aus schwarzer Rußtusche, anthrazit, asphaltgrau, endlich taubengrau. Bei der Ankunft strahlender Sonnenschein in Helgoland.
Der erste Gang durch die Unterstadt lässt an einen Erlebnispark denken, der Ort ist auf eine klare Besucherführung von den Booten ausgerichtet, an den Duty-Freeläden vorbei geht die eine Route, die andere führt oben über die Klippen zum Lummerfelsen.

Thyborøn- Hvide Sande

Bei der Ausfahrt begleiten uns drei Delphine, große Tiere. Ob sie unser graues Unterschiff für einen der ihren halten und die kläglichen Geräusche unsere Autopiloten für die Hilferufe einer von Menschen geknechteten Delphinseele, oder ob sie erwarten, wir würden eine geangelte Makrele fallen lassen- ich nehme ihre Sprünge und Kapriolen als Spielerei und damit gutes Omen.

Ziemliche Reiterei nach Hvide Sande. Neben der Mole hängen die Kiter zwischen Himmel und Welle. Im Hafen liegen wir in einer Ecke, von Fischerbooten umgeben, gegenüber das Eiswerk, Angler aus dem Ruhrgebiet, Industriebeleuchtung, die Duckdalben- Lampe geht automatisch an, wenn die Möven drunterfliegen. Hier, wie ja auch in Thyborøn, wird die Fischerei ernsthaft betrieben, nicht als nostalgische Touristendekoration, die die Vorstellung von einsilbigen Seebären und Fischernetzen voller zappelnder Leiber bedient. Aus dem Eiswerk führt ein Druckrohr das Eis in große Kästen, internationale Tauschcontainer, aus den Booten zur Fischauktion, einer großen Industriehalle, Fischmehlfabrik angeschlossen. An der Wand gelehnt stehen zwei Männer, rauchen, littauischer Kombi nebendran. Hier denkt man in Fangquoten, Kühltransporten und Lieferketten. Netze, Seile, Fangreusen.

Der Ort ist überraschend lebendig, Surfercafé mit upcyclingkonformen Palettensofas, riesiger outdoor Bekleidungsladen, Familienurlauber- man spricht deutsch- und camouflage-gekleidete Angler. Das Wasser ist wärmer als die Luft, Baden heißt Wellenhüpfen.

Thyborøn- Hafenbecken


Nun habe ich eine neue Hafenbecken-Geschichte: Der Pier hier ist aus Holz, schön grün mit Algen bewachsen, das Holz prächtig patiniert. Da es regnet, mache ich mich auf, Wäsche zu waschen mit einem großen Ikea Sack voller Handtücher am Arm, die Hafenkarte in der Hand und mache den tüchtigen Schritt nach vorne und denke noch: „das passiert doch jetzt nicht wirklich“ , greife nach dem Poller, auch der glitscht mir aus der Hand und platsch falle ich rücklings ins Wasser. So ein Holzgestell hat dann aber auch sein gutes, ich bekomme schnell einen Balken zu fassen und rufe nach Jürgen. Die Holländer nebenan haben anscheinend gar nicht erst auf den Ruf, sondern gleich auf das Platschen reagiert, gleich sind drei Männer da, sie und Jürgen helfen mir ruckzuck heraus, sie wissen, wie man sich dabei absichert. Wenn ich nicht so bedröppelt wäre, wäre es fast gar nicht passiert. Die Wäsche hat den ersten Waschgang schon hinter sich, ich dagegen fühle mich eher gekielholt. Wieder einmal hat sich bewahrheitet: bring in the Dutch if you have water problems..

In Thyborøn stehen noch viele Bunker am Strand, es ist ein Vorgeschmack auf die Normandie. Ein Museum erläutert die größte direkt konfrontative Seeschlacht des 1. Weltkriegs, vom 31.Mai bis 1.Juni sind 25 Schiffe versenkt worden, über 8500 Männer gefallen. Als wir vor 2 Jahren den Limford durchfahren sind, haben wir auch an vielen Brücken Befestigungsanlagen gesehen.

Am Abend sehen wir nicht nur Seehunde, sondern auch eine Delphinherde bei Flutwasser, so beschwingt springen habe ich sie noch nie gesehen, nicht einmal in Neuseeland. Ein großer Vorteil gegenüber Calberlah: Bei Abendflut geht man nicht Kälbchen gucken, sondern Delphine. Die Einheimischen gucken gar nicht mehr..

Mandal – Thyborøn


Da Schottland uns eine 14 tägige Quarantäne auferlegen würde, fahren wir nach Dänemark zurück. Ordentlich Wind aus der richtigen Richtung, am Himmel grollt es ab Mittag, mit Motorhilfe schaffen wir Thyborøn grade rechtzeitig vor Einbruch der Dunkelheit. Streunende Seehunde empfangen uns im Fischereihafen, sie wissen schon, wo sie Fischreste finden können.
Die Windvorhersage ist unfreundlich, so bleiben wir vorerst. Fast drei Wochen Norwegen liegen hinter uns, wir hatten das Glück unsere Reise mit einem wunderbaren Land zu beginnen: Die kargen Felsen der Schären waren sommerwarm, wir fühlten uns getragen von der großen Freude der Norweger, nach der Pandemie Urlaub zu genießen, wer weiß wie lange die Freiheit dauert. Wieder einmal zeigt sich, dass ein niedriger Gini-Index, mit dem die Verteilung des Reichtums abgebildet werden soll (je näher der Wert bei 100 ist, desto stärker ist der Reichtum bei wenigen konzentriert) das Leben in einem Land freundlicher macht, mehr schöne Dinge sind in den Schaufenstern, mehr Leute sehen zufrieden und ausgeglichen aus, weil weder Angst um Besitz, Neid oder Sorge eine große Belastung sind, und das insbesondere fühlt sich gut an. Eine Reproduktionsrate von 1,84 ist auch klasse, weil es viele junge Leute gibt, viele Kinder, viele Familien haben drei oder mehr Kinder und wegen Gini (siehe oben) gibt es vieles, was Kindern Spaß macht- und Erwachsenen ebenso. Angeblich hat die private Bautätigkeit in den letzten zwei Jahren gegenüber den Vorjahren geringere Steigerungen (2-3%), aber die Dominanz von Maklern in den Innenstädten – wie auch bei uns z. B in Fallersleben) ist befremdlich für mich- Wie verändert sich eine Gesellschaft, wenn sich alles ums möglichst neue, große und international vermarktbare Häusle dreht?
Durch das Öl hat jeder Bürger ein Vermögen von ca 200.000€ im Staatsfond (Deutschland hat ca 50.000€ Schulden pro Bürger) und man merkt, dass der Staat investiert – in Infrastruktur (Steigerung des Eisenbahnausbaus um 50%, in Energieanlagen, Häfen, Straßen), aber auch in Bibliotheken, Schulen Theater, Kunsthallen. Das Kunstmuseum in Stavanger hat keine großen Namen, aber arbeitet die lokale Kunst auf, die Musikschulen vergeben Kompositionsaufträge und stellen Musiker ein, Künstlerstipendien werden vergeben. Viele künstlerische Räume scheinen sich bilden zu können. Aus meiner Sicht ist es eine kluge Strategie: Wer weiß, ob ein trademark-Name wie Jeff Koons in 50 Jahren noch den gleichen Wert wie heute hat- aber vielleicht ist ein junger Mensch unterwegs dazu, neue wichtige Werke zu machen?
Hoffentlich können wir die Entwicklungen noch einmal verfolgen.

Morgens beim Schwimmen in der Nordsee schaut mir ein Seehund zu, vielleicht aus 20 m Entfernung: zwei Köpfe, laut hörbarer Atem- zumindest ich wegen des kalten Wassers (offizielle 17°), wir genießen die frühe Morgenruhe. Irgendwann taucht der Seehund sehr elegant ab, ich stapfe zurück ans Ufer. Später sehen wir ganze Herden der Flut auflauernd, wahrscheinlich machen sie einfach das Maul auf und lassen die kleinen Sprotten hereinspülen. Morgen werden wir auf Photojagd gehen.

Kristiansand- Mandal- Stavanger

Gegenwind und teilweise sehr enges Fahrwasser- bei Boey war in der engsten Stelle eine Reparaturwerft- wie passend. Mandal ist ein traditionsreicher Ort der Sommerfrische, teilweise kommen die Familien seit dem 18. Jahrhundert im Sommer an die Küste. Die Kiefern am wunderbaren Sandstrand stammen aus Schottland und wurden nach einer Flutkatastrophe angepflanzt. Trotz eines verheerenden Sturms 2003 kann man noch schön im Schatten am Strand entlangspazieren. Schicke Stadthalle. Wir beschließen, mit dem Bus nach Stavanger zu fahren. App besorgen, anmelden, Tickets kaufen- ohne Smartphone geht mal wieder nix. Schon die Fahrt mit dem Bus nach Stavanger ist ein kleines Abenteuer: irgendwo im Nirgendwo liegen zwei Haltestellen an der E 39 im Abstand von 200m beieinander- an welchem hält wohl unser Bus? Wir haben Glück und der Bus hält für uns. Die Fahrt ist abwechslungsreich- Moore, Schafweiden, Bergwälder, wir überqueren in Kreuzfahrtschiff-Höhe den Flekkefjord, Bergbäche begleiten die Strasse. Natur ist nicht alles- die gesamte Strecke wird beleuchtet, viele, auch lange Tunnel sind dramaturgisch geschickt als Szenenwechsel eingebaut.


Stavanger
Hotel, oh wunderbar weiches Bett, Warmwasser ohne Nachzahlung, Kaffee aus guten Automaten zum Frühstück: schierer Luxus.
Überall in der Stadt ist Streetart versteckt, bei den vollintegrierten Jugendlichen können wir uns nur vorstellen, dass es Auftragsarbeiten sind und nicht unbotmäßige Aufmüpfigkeiten. Es macht Spass, diesen Subtext zu finden. Am Hafen zischen plötzlich zwei Möven dicht über unsere Schultern, sie machen eine halbe Synchronrolle, eine nimmt einen Extraschwung mit den Flügeln und nutzt den Vorsprung, um die andere anzupicken, beide kippen geschickt seitlich weg in den Sturzflug und fliegen parallel weiter, als wäre nichts geschehen. Was hätten Auguren zu solch einer Aufführung gesagt?
Ein älterer Mann, zerknittertet Anzug, bewegt sich auffällig. Völlig verdröhnt, aber die Füße trippeln in einem imaginären alten Quadrilletanz, taktfest, dicht am Wasser, schwankend, die Arme rudern, die Finger bilden die typischen barocken kleinen Straußhändchen mit weiträumigen Arabesken. Die Tanzausbildung überdauert selbst den Rausch.

Das elektrische Ausflugsboot bringt uns über den Haugesund zum Lysefjord, natürlich gibt es Peer Gynt Musik zur Untermalung. Wir kommen an Lachsfarmen und einer verlassenen Miesmuschelzucht vorbei, das Panorama wechselt mit jeder Biegung. Warum hat es für die Fjorde keinen Anselm Adams gegeben wie für den Yosemitepark? Wir werden mit dem Bus zum Parkplatz gebracht, von dem aus die Wanderung zum Preikestolen beginnt. Covid sei Dank ist es nur voll,nicht übervoll. Die Norweger tänzeln trittischer wie die Gemsen über die Steine, aber seitdem ich chinesische Musik und asiatisch aussehende Touristen gespottet habe, weiß ich, dass dieser Weg auf der to-do Liste der Welt ist. Der Weg selbst ist schon schöne, über Hochmoore und an Bergseen vorbei, teilweise wie Stufen ausgearbeitet, an den letzten Stellen durch solide neue Holzveranden gesichert. Das Plateau selbst hat keinerlei Sicherungen, der Blick nach unten saugt und zerrt an den Nerven. Auf dem Rückweg kommen wir an einem älteren Mann vorbei, der schon mit Verband um Kopf und Knie versorgt ist, aber anscheinend nicht weiter kann. Wenige Schritte weiter hören wir den Hubschrauber, ein Retter seilt sich ab und begleitet den Mann in der Rettungsschlinge nach oben. Extrem schnell und professionell.

In Stavanger dann das Ölmuseum. Öl ist die Basis für den Reichtum Norwegens. Die notwendige Transformation wird gesehen. Schon heute wird 20% weniger Öl gefördert als vor wenigen Jahren, Tendenz stark fallend. Eine Herausforderung für das Land

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