Der Herbst wird eingeläutet

Wir segeln netter als erwartet nach Alicante zurück. Baden und noch einmal elegant essen gehen, wie angenehm bei trockenen 27° und nettem Jazz zu speisen, sehr cool. Für Ulrike geht es zurück, einies ist zu Hause zu erledigen, Jürgen wird mit seinen Freunden das Boot anfang Oktober nach Gibraltar zurücksegeln. Es ist spürbar, dass sich ein Wetterwechsel ankündigt, hoffentlich ist der Wind für die nächste Strecke günstig und ausreichend stabil.

Altea

Nach Altea,

Der Himmel ist bedeckt, feucht warm, aber der Himmel novemberlich grau. Die Spätsaison ist eingeläutet, die paar Schritte zur Kirche hoch lassen uns japsen, unsere klatschnassen Polos fordern unsere Akzeptanz von Transpiration voll heraus. Während der Saisonabschluss in Ibiza in den Zeitungen euphorisch war (10% Wachstum !) ist man hier eher realistisch: Es waren genug Leute da, aber sie sind nicht so viel ausgegangen..Voller Verblüffung stellen wir fest, dass der Ort umd die Kirche herum nette Gässchen mit netten Restaurants hat, wir bekommen sogar noch auf den letzten Metern die Mitbringsel für die Kinder, alles besser als erwartet. UND: es ist der erste Ort, an dem keine Disko am Hafen ist seit Alicante, es gelingt uns, mit ein bisschen Wind himmlisch zu schlafen.

Denia

Denia

Wieder einmal liegt der Wetterbericht daneben, zwei drittel Gegenanmotoren, aber ich sehe meine ersten fliegenden Fische: erst ein Knistern über dem Wasser, ein leichtes Zischen und eine Art Libelle hebt sich aus dem Wasser, foilt dreissig, vierzig Meter über die Wellenkämme und verschmilzt dann wieder mit den Wellen. Die Wendys aus Peter Pan haben ein reales Vorbild.

Die Stadt ist ein Ferienort, wie er für die Valenzianer und vielleicht auch Alicantaner (?) gut erreichbar ist, 80 km entfernt. Man könnte es als ausgelagerte Resturantmeile betrachten, es gibt schöne Tavernen und edle Restaurants. Auf dem Weg zum Kastell kommen wir unter Kiefern vorbei, Zikaden lassen eine Klanginstallation vermuten, man geht in eine Wolke elektrischen Sirrens hinein.

In dieser Region scheint es zum Bootsvergnügen dazuzugehören, abends aus dem Motorboot in die Disco zu gehen, auch hier ist am Hafen eine Freiluftdisco. Am Nachmittag hatten ein paar Jungs einen Soundcheck gemacht, ich bin immer wieder fasziniert von den Melodiefetzen, die dann angespielt werden, aus allen Gattungen geklaut, grade mal die coolen Riffs oder Signature breaks. Aber sie treten nachher gar nicht auf. In der nächtlichen Hitze kann ich nicht schlafen und lange verteufele ich diese DJ-Apps, mit denen jeder Titel mit einer separaten Humptata- Rhythmuslinie unterlegt wird, damit der Tanzbär ja nicht an einem Rhythmuswechsel scheitert. Selbst Nirvana wird nicht verschont, sind sie denn verrückt geworden, Celesta dazuzumixen??

Nördlich vom Hafen kann man schön schwimmen, mit Schnorchel schwebt man über dem Seegras und weidet die Augen an ihrem Schwingen. Nächstes Leben werde ich Wal.

Valencia

Überfahrt nach Valencia

Der Wind schläft ein, wir brauchen fast doppelt so lange und sind todmüde, als wir ankommen. Valencia ist ein riesiger Hafen, seine Beleuchtung auf einem Hafenhochhaus sieht nachts aus wie eine Architektur aus Bladerunner, das Klima ist auch das des urban malaiischen Sprawl, der für diese dystopischen Situationen die obligatorische Folie bildet. Zumindest die schwüle Hitze bleibt uns auch die nächsten Tage erhalten, wie auch wieder nächtliche Disko Musik.

Nach dem Ausruhen auf dem Warteponton ist die Welt schon wieder zurechtgerückt: Valencia ist prächtig, viel schöner als ich erwartet hatte: breite Boulevards, eine riesige Grünanlage, die den alten Flusslauf den Bürgern zur Verfügung stellt, eine selbstbewusste, stolze Altstadt mit prächtiger Markthalle, reichbemalten Kirchen und Institutionen wie dem Wassergericht, die von dem Bewußtsein zeugen, dass man das Wasser nur gemeinsam nutzen kann, nicht besitzen kann.

Die Überreste der Formel 1 Strecke sind noch erkennbar, ein Teilstück führte bis 2017 durch den Hafen- so mancher junge Motorradfahrer stellt sich nachts vor, einmal Rennfahrer zu werden und übt, es gibt gradezu Virtuosen, die das Geräusch ihrer Maschine wie ein Instrument modulieren, lange immer wieder rhytmisch bremsen, dann den Motor in langen Linien jubeln lassen.

Nachdem der Turia eine verheerende Überschwemmung in der Stadt angerichtet hatte, wurde er an der Stadt vorbeigeleitet und mündest nun unterhalb der Stadt in einem großen Schwemmland ins Meer. Ein Teil der Fläche wurde für ein megalomanisches Ensemble von Calatrava-Bauten genutzt, Ozeaneum, Caixa Forum, Musik/Theater Veranstaltungsgelände, Gerichtsstadt. Die Bauten haben biomorph anmutende Trägerstrukturen, weiß lackiert, fast könnte man meinen, die Häuser hätten sich in Gerippe eingenistet. In jedem Fall ist es ein mutiger Schritt, ein solches Ensemble umsetzen. Aktuell wurden Skulturen von Igor Mitoray auf den Wasserflächen ausgestellt, riesige klassisch anmutende fragmentierte Krieger, Arno Breker lässt grüßen

Wir planen immer wieder Museumsbesuche (Seidenmuseum, Museum der Schönen Künste, Zeitgenössische Kunst und das Karmeliterkloster mit aktuellen Werken, nicht zuletzt weil sie klimatisiert sind. Im Halbdunkel des Museums sind die kunstvollen Brokatstoffe übertrieben grün, azur oder kaisergelb, später, im harten Sonnenlicht können sie grade gegenhalten und sind wunderschön. Im IVAM wird Juan Gonzales aus der klassischen Moderne als Hauskünstler ausgestellt, eine Entdeckung für mich sein Weg von Blechschnitten zu Skultpuren.

Ibiza

Vor Cabo Nao war die See etwa ruckelig, aber dann biegen wir ab in Richtung Ibiza und es beginnt der schöne Teil der Überfahrt: Der Abend ist etwas dunstig und der Anbruch der Nacht zelebriert ein zart verschwebendes Farbspiel von helltürkis zu purpur, wie auf durchsichtigem Transparentpapier, Bergkulisse in schattengrau bis staubgrau, eine feine Mondsichel. Es ist sehr leichtes Segeln, eine nette Fahrt, kaum Welle, keine Fischer, wunderbare Sommernacht und so warm, dass man trotz des Segellüftchens keine lange Hose oder Jacke braucht. Wir legen im Kommunalhafen von San Antoni an, auf der Nordwestseite der Insel.

Ein kleines Nickerchen und dann auf in die Stadt: der erste Eindruck ist von überwältigender Brighton-Trostlosigkeit, English Pub an Irish Pub, Ramsch, Sandwichbuden und überall der Ticketverkauf für die Diskotheken. Ein pinkfarbenes Fahrgeschäft, abblätternde Leuchtreklame. Junge Leute in Disk-Uniform: Bikini plus Häkelkleid bzw Shorts und Tattoo-Oberkörper, manch einer sieht aus wie ein bemaltes Schulmäppchen. Man spürt so ein Jagdfieber, Lust und Dringlichkeit,

Tags drauf fahren wir nach Ibiza Stadt, dort ist Kreuzfahrer Eleganz, überschüssiges Kapital und alte Arabergeschichte, nette kleine Häuschen. Ibizenkische Szenen sind erahnter, aber eigentlich auch eher im kollektiven Gedächtnis als real präsentiert. Abends verbringen wir in San Antoni auf der Strandpromemenade Poniente del Sol- so wie alle anderen: Auf der Hundewiese und Car Park Brache stehen Leute mit Bierflaschen in der Hand, auf den Felsen kuscheln frischgefundene Pärchen, in den Restaurants und Bars tummeln sich diejenigen, die einen Diskoabend noch vor sich haben. Im Café del Mar wird sehr elegante Ambient Music aus Hochleistungslautsprechern kuratiert, es ist eine kühle, weite Ohrenlandschaft, die den Sonnenuntergang filmfähig untermalt, die murmelbunten großen runden Cocktailgläser schimmern und wir haben unseren Ibiza Moment.

Am Samstag ist in Las Dahlias Hippiemarkt, angeblich möglicherweise mit echten Hippies!, Überbleibseln der Kommune, die sich als Vietnam-Draft Flüchtlinge in den 70 er Jahren hier gebildet hatte. Viele Container aus Goa müssen jede Woche kommen, um die indischen Fummel hierherzuschaffen, hier und da gebastelte Taschen, Schmuck oder Tücher. Ein großer Markt, mit Gedränge aller, die noch einen Abglanz des Alternativlebens suchen. Alle Spielarten der Kleidungsassimilation finden sich: die Mädels mit dem ersten Indischen Top, die Neuankömmlinge, dann die Frauen, die schon ein ganzes Kleid übergeworfen haben, vielleicht beginnt so der Tanz und der verlorene Flip Flop wird vom Märchenprinz mit Tattoo zurückgebracht und schließlich die Habitues, die ein sorgfältig ausgewähltes Ibiza Outfit präsentieren, Sandalen mit Indianerfransen, Flatterkleid, Gürtel mit Gardinentroddeln und indischen Radjastanpaillettentaschen. Erster Regen seit Monaten, aber es sind nur 10 Minuten, zu wenig für Abkühlung.

Auf dem Heimweg sehen wir einen Jungen in einer Bar seine Erlebnisse aufschreiben. Er hat nur ein Blatt Papier vor sich, aber viele Erlebnisse, das Blatt ist mehrfach übereinander beschrieben, ein Psalimpsest seiner Dance Trance, geschwungene Kringellinien, sie könnten auch einfach die irrlichternden Paisleymuster der Kleiderstoffe sein, die sich tanzend in seine Linien einzeichnen.

Abends können wir noch beobachten, wie die Römer aus einer LARP-Veranstaltung zum Reenactment der Römischen Besiedlung den Abend nach der Veranstaltung bei Grillspeise und Tanz beenden, Ibiza-konform wird Rock n´Roll im Gladiatorenkostüm/mit Glitzertoga getanzt. Auch die alten Römer wussten sich zu vergnügen.

Am letzten Tag fahren wir noch zur Cala Salgada mit dem Bus, der uns an den PKW-Straßensperren bis fast hinunter zum Strand bringt. Herrlich klares Wasser, dunkel über den Posidonia Wiesen, türkis über dem Sand, es wird peinlich darauf geachtet, dass das Ankerverbot eingehalten wird, um das Seegras zu schützen. Der Strand ist auch am nachmittag noch vollständig unvermüllt, sensationell diszipliniert alle. Die Villen sind unter Bäumen versteckt, man kann sich der Illusion hingeben, in einer abgelegenen Bucht zu befinden.

Sommerboot, später

In Niedersachsen waren die Tage grade etwas kühler geworden, die Unbarmherzigkeit gewichen, etwas Milderes lag schon in den Tagen, man spürte das Ende des Sommers. Nach Alicante zurückkommend, empfängt mich die Hitze wieder mit voller Wucht, in Frankreich und Nordspanien wütet der Sommer mit rotglühender Wut, mit gradezu apokalyptischen Feuerwänden. Alicante ist feucht heiß, tropisch. Auf dem Boot können wir uns nirgends vor der Hitze verstecken. Mit dem klimatisierten Bus zum klimatisierten Carrefour zu fahren ist schon gut, Abkühlung und Trocknung auf 27° ! Wir kaufen groß ein, vor allem den schwierig zu ergatternden Sprudel.
Ich hatte mich auf den Besuch bei den wunderbaren großen Gummibäumen und ihrem freundlichen Schatten gefreut, auf das Schlendern durch die zum Speisezimmer der Touristen gewordenen Straßen und Plätze, auf das Gefühl, unter der mächtigen Burg St. Barbara einen Abglanz von Historie und Macht zu spüren, so anders als die niedersächsiche Provinz.

Alicante

Alicante
Seit langem wieder eine Großstadt- der Paseo Maritimo und die Piazzas im Altstadtbereich sind großzügig und winddurchweht. Früher habe ich Gummibäume als Pflanzen für phantasielose Amtstuben belächelt, hier werde ich eines besseren belehrt und beginne, das Loblied auf sie zu singen: Ihre dunklen großen Blätter können sich wohltuend übereinanderlegen und großzügig Schutz den daruntersitzenden oder wandelnden Menschen bieten, ihre riesigen glatten Stämme bieten Nischen, um sich hinzusetzen und anzulehnen, sie gestalten schattige, aber windoffene Plätze, sie strömen eine jahrhunderte anhaltende Geduld und Gleichmütigkeit aus, das nach schwerem Leder klingende aneinander Klappen ihrer Blätter absorbiert die kleinteiligen Geräusche der Straße, oh wunderbare Freunde in hitziger Stadt!

An der äußersten Mole ist ein großes Areal eine Winterbrache, im Sommer haben sich hier mindestens vier Discos etabliert, jede mit substanziellen Bühnen und großen Mischpulten. Ab dem frühen Abend beginnt das Wummern und nimmt bis Mitternacht zu, erst bei Beginn der frühen Morgenstunden nimmt der Schalldruck ab. Im Cockpit wird mein Zwerchfell massiert, wenn man sich flach auf das Boot legt, merkt man das Vibrieren. Toda la noche, todas las noches (die ganze Nacht, alle Nächte) sagt der Marinero. Am ersten Abend habe ich begeistert den jungen Leuten zugeschaut und merkte, wie die Lust auf Tanzen in den Beinen kribbelt, phantasiere von tropisch warmen Nächten in einem riesigen Menschenrausch. Wenige Stunden später hasse ich den akustischen Müll, der sich nicht abschütteln lässt, der durchgängig monotone Basswums klingt in den Ohren nach, auch als er schon aufgehört hat, die gleiche sensorische Illusion wie das Nachbild nach einem zu lange Fokussieren eines grellbelb/grellgrünen Streifenmusters. Toda la noche, todas las noches.

Museo de Bellas Artes, Museo de Arte Contemporanea
Schöne Bilder, lokale Künstler: Landschaften in gelb, ocker und grau; eine Abstraktion der Alhambra in Granada besteht nur aus goldsand -farbigen und coelinblauen Schraffuren, eine wunderbare Schwebende, die Illusion von Tiefe erzeugende Textur stellt das Licht dar, als würde man blinzelnd ins Helle schauen.
Sempere: ich stelle mir vor: das ungeliebte einzige Kind einer reichen Familie, zurückgezogen und im autistischen geduldigen Ziehen von Strichen verloren, die sich verselbständigen zu Bändern und Flächen, aus Tinte gewebten Bandagen, die gipsfarbige oder dunkle Bögen markieren.
Andere nehmen manchmal die Oberfläche die Strukturen der groben, über all offenen schrundigen Erde auf, manchmal werden Gitter, Raster zu Bildelementen, lange Schatten von Einschränkungen, Ängsten, Trauer durch Krieg und Diktatur.
Malen ist schon eine merkwürdige Profession oder Berufung: hier in Alicante sind die grundlegenden Erfahrungen so anders, man schaut in Schaufenster tief in Keller herunter, die eigentlich einsehbare Ausgrabungshallen einer zweitausendjährigen Vergangenheit sind, man geht auf den Berg über jahrhundertelang ausgetretene glattgeschliffene Wege, der Blick über Land zeigt alle Farben roher Erde, offene Tagebauten, Salzflächen glänzen, weiße Plastikgewächshäuser, das glatte Meer, türkis, preussischblau, moorbraun, Arabesken von schmiedeeisernen Gittern, knotige Schutzgitter, liniendurchwobene punzierte Panzertüren. Eine Ordnung des Raumes nach Sichtachsen, nach den panoptischen Punkten ist ganz selten.
Und doch sind die Bilder im Bellas Artes Museum genau so wie die in Paris: ein blühender Apfelbaum, dessen weißer Blütenschaum wie Freistellungen, Löcher im Farbteppich sind, aus Frankreich geholte Damastseiden-Texturen, akademisch gemalte Key- Filmstills, die ganze Miniserien von Netflix zusammendampfen und mit dem ganzen Repertoire der maltechnischen Tricks arbeiten, um in den Ausstellungswettbewerben zu bestehen.

Wir erleben auf dem Platz des Ayuntamiento den Beginn der internationalen Bläsertage, ein tüchtiges Blechbläserensemble pocht mit hellen Fanfarenklänen an den noch dämmerigen Himmel, Schwalben flitzen umher, einige neugierige Gäste stehen auf den Balkons der umgebenden Arbnbs, das offene Wohnzimmer der Stadt wird mit Verve und Kunstfertigkeit bespielt, die leuchtenden glänzenden Klänge der Zarzuela und die tiefgrundigen gewaltigen Klänge der Slawischen Tänze von Tschaikowsky werden auch vom vorwiegend lokalen Publikum dankbar angenommen.

Morgens machen wir immer etwas, um die Sommerpause vorzubereiten, Genua abnehmen oder eine fehlende Klampe am Steg organisieren, aber dann ist es heiß und wir sitzen matt unter unserem Mini – Bimini. Dabei gäbe es noch so vieles Lockendes in der Stadt und der Umgebung, hoffentlich ist es dann Ende August etwas erträglicher. Jetzt freue ich mich sehr auf die Heimfahrt, die Kinder und die langen hellen Abende, deren Kühle so wohltuend ist.


Torrevieja

Torrevieja

Um das Cap Palo herum, und schon sieht man die kilometerlange Parade der Hochäuser auf der Sandzunge des Mar Menor. Wir machen einen Bogen darum (man hört von Quallen, Überdüngung und Algenpest, zu warmes Wasser und Mücken..kurzum, alle Schrecken des Mittelmeer sollen dort auf uns warten- hic sunt Medusae) Als ich die Hafengebühren in Torrevieja in Metallico (cash) bezahlen soll, wittere ich natürlich unversteuerte Geschäfte.

Auf dem ersten Landgang in der Abenddämmerung kommen wir am abgewirtschafteten Resort Nautico International vorbei, eine tüchtige Combo aus zwei Personen unterhält die brightongestählten und dauergewellten Engländer mit einem Potpourri mindestens 20 Jahre alter schleimiger Hits, es ist laut genug, dass man sich nicht unterhalten muss und kann, dank der Doppelspitze ununterbrochen dudeln. Weit hinten kreischt eine Kirmes, und im Dunkel am Abwasserkanal übt eine Gruppe Jungs Rap-Battles mit gereckten Fäusten, es klingt plausibel underdog zornig. Der letzte Block des Resorts ist aufgegeben, dort wohnen die Putzfrauen mit ihren kleinen Kindern, im Hintergrund dödelt die Glotze, die Kinder toben auf der Straße und werden von den Müttern gemaßregelt die Resortgäste nicht zu belästigen. Ein paar Meter in Richtung Stadt oder eher der typische urban sprawl, Resultat einer Bauaktivität ohne auch nur die Spur eines Versuches, irgendetwas auch nur in Ansätzen in Richtung Ansehnlichkeit gestalteten zu machen: 8 stöckige Behältnisse für menschliche Ameisen.

Am nächsten Morgen fahren wir mit den Fahrrädern am Paseo Maritimo vorbei, seit langem sehe ich die ersten Kaffeekännchen auf der Terasse eines Cafés, hier müssen Deutsche zu Hauf sein. An einigen Stellen ist die Wasserkante schartiger Kalkstein, teilweise haben sich schon spontane Salzpfannen gebildet, andernorts knallen frisch nitratgedüngte Algen grellgrün heraus. Alle bewegen sich adiabatisch langsam, um ja nur keine unnötige Wärme zu erzeugen. T-Shirtgröße 3XL und entsprechende Kleidersäcke engen nirgends ein. Die Männer, die ihre Short-Beine so nach innen stecken, dass eine Form von kurzen Pumphosen entsteht, in denen man auch ein altersgerechtes Windelpaket verstecken könnte, haben garantiert die Diskussion vom letzten Jahr, wie kurz den Männershorts sein dürfen (ja, short Shorts stellen die Frage, ob lange Männerbeine attraktiv sein könnten, meine Einschätzung: negativ) nicht mitbekommen.

Ich ziehe meine Polarisierende braune Sonnenbrille an, es ist eine Zauberbrille, die alles in photoshop artige Kontraste und goldene Farben taucht, irgendetwas wird doch schön sein. Das Meer schlägt kleine Buchten, mit dem Kalkstein sieht es aus wie eine groteske Badelandschaft, das türkisgrün des Wassers ist karibik-tauglich, man kann darin liegen, fast ohne sich zu bewegen, so salzhaltig ist es, der Blick in den Himmel ist unendlich. Beim Raustappen über Bauschutt gestolpert. Hinter der Salzförderanlage und neben der Entsalzungsanlage (eine der größten in der Region, 200000 Kubikmeter Wasser pro Tag werden entsalzen, frag nicht, was dass für Energie kostet..) ist der rosa Teich, man kann ihn als außerirdische rosa Fläche auf google Maps gut erkennen. Einige liegen im Wasser, wie im toten Meer schauen die Körper zur Hälfte aus der rosa Lake heraus. Ob das bei der Entsalzung anfallende konzentrierte Salzwasser hier gleich zum Verdunsten gebracht wird, konnte ich nicht herausbekommen. Torrevieja hat etwa 80.000 Einwohner, seit 2014 Tendenz abnehmend, am Hafen ist ein Plakat auf Dänisch: „Wir verkaufen ihre Wohnung schnell und gut“. Was hat die Leute noch in den 90gern geritten, einfachste Bauten zu errichten, im Stadtinneren gähnen überall noch Brandmauern, und sie dann billig an Ausländer zu verkaufen (etwa 60 Prozent der gemeldeten Einwohner sind Spanier), nur um dann zu merken, dass man sich heftig mit Infrastrukturmaßnahmen verschulden muss (Entsalzungsanlage), um das irgendwie zu betreiben? Dies ist wirklich auch mit Zauberbrille nur mit der Ansage: Entspann dich, alles locker nehmen zu ertragen.

Cartagena

Cartagena

Tagsüber presst die Sonne die Gebirgsfalten flach, der Buntsandstein, graue Lavabrocken und ab und so schiefrige oder gipsige Einschlüsse- alles ist flach, als wäre es eine alte Fotoplatte mit Sepiatönen. Wir brechen in der letzten Dämmerung des frühen Morgens auf, die Farben sind feuchtigkeitssatt gebläut, die diffuse türkise Helligkeit modelliert jede Bruchkante, jede Erosionsfurche, die harten, weit voneinander entfernt stehenden und mageren Pflanzen verwischen sich in der Ferne zu eine weich scheinenden Krume.
Nach diesem Tagesbeginn schwächelt der Wind, alles wird diesig, man sieht nur grobe Konturlinen. Der Motor tuckert, auf Dauer ist der Lärm nervtötend.
Vor dem Cap Timon steht Buckelwelle und die Einfahrt nach Cartagena geht durch die Abenddüse.
Die Nebenbühne des Heavy Metal Festivals grenzt an den Hafen, bis weit in die Nacht hören wir Metal, das wie die irre Musik einer Dinosaurier Geisterbahn grunzt und raunzt, erstaunlich, was Stimme und Gerät hergeben.
Cartagena ist etwa eine Viertelmillion-Einwohner groß, lebt von Petrochemie und Energiewirtschaft, hat einen großen Militärhafen und eine U-Boot Basis, Militärakademie und Werft. Nachdem die alte Minenindustrie eingegangen ist und die Ölwirtschaft nicht mehr so stinkt, beginnt die Stadt ihre Vergangenheit als Tourismuspotenzial zu entwickeln, ein Kreuzfahrtterminal bringt sie herbei, der Hafen ebenfalls, Cartagena war nach der Gründung durch die Phönizier der Ausgangspunkt für Hanibals Zug nach Italien mit den berühmten Elefanten. Die Römer nahmen schließlich die Stadt ein und bauten den Hafen als wichtigsten spanischen Hafen aus, im Gefolge kam die gesamte Zivilisation mit Forum, Coliseum und Theater. Nach dem Zerfall des römischen Reiches kamen die Sueben, Vandalen, Byzantiner und Niedergang. Mit den Arabern kam ein wichtiger Aufschwung als Handwerker und Handelsplatz, der aber mit der Bindung der Energien der Araber durch die Rekonquista wieder niederging. Die Reyes Catolicos dann vertrieben Muslime und Juden, wieder Niedergang. Erst als der Hafen die Basis für die Kriege gegen die Engländer wurde, ging es wieder bergauf und in den Erbfolgekriegen bergab, mit der beginnenden Industrialisierung und Bergbauaktivität bergauf und mit dem Bürgerkrieg (Cartagena mit Alicante war die letzte republikanische Mittelmeerhafenstadt) wieder bergab. Oft haben sich die Zentren verschoben (vom Berg ins Tal, dann die Versandung der Bucht und Auffüllung), die Stadt ist verwinkelt, mit archäologischen Inseln oder nicht bebaubaren Bergen, Befestigungsanlagen allüberall. Die Stadt ist schwer zu entziffern.
Abends gehen wir hinter die Hauptbühne, die Skorpions spielen. Auf der Straße wird getanzt, man hat locker Platz. Eine Gruppe verschleierter Frauen flaniert auf und ab, irgendwann kommt ein römischer Soldat und später Mittelalterpersonal vorbei, vermutlich hat es irgendwo ein historisches Reenactment gegeben, wenige Versprengte der Aktivitäten zum Christopher Street Day machen das Bild bunter, ein kleines Häuflein nordafrikanisch aussehender Jugendlicher in Fusßballtrikots albert herum, einige Eltern mit kleinen Kindern, irgendwo titscht ein beleibter Mann in knallblauen T-Shirt auf und ab, seine Frau schaut sich befremdet um, ob es unangemessen ist, aber auch die Mädels im spanischen Partyoutfit recken die Fäuste in die Luft und bewegen die Köpfe im Takt der kajal-äugige Lockenkopf singt aus voller Brust und textsicher die Balladen mit. Soviel zu schauen hätten wir im Main Stage Bereich sicher nicht.
Wie flexibel doch Wind of Change ist- ein gelb blaues Peace-Zeichen, und schon kann man es unkaputtbar weiterbenutzen..
Cala Cortina ist mit dem Bus erreichbar, man hat das Freibadgefühl, Halbstarke mit dunklen Locken hören fransösichen Rap, Krabbelgruppen mit Schwangeren Muttis, erste Lieben, alles da.

San José

edlich hat die Windrichtung gedreht und der Poniente bläst die Wärme mit vollen Backen weg, bringt auch ziemlich Welle mit. Wir kommen ums Cabo Gato nach San José, nach all den riesigen Urbanisationen gradezu ein Balsam für die Augen, hier mal nur 2 stöckige Appartmentreihen zu sehen. Nicht weit von hier gibt es eine Wüste im Inneren, am Hafen besteht die sorgfältige die Zierbepflanzung aus Kakteen und Yukka.

Das Dorf, im Winter ist es nur knapp 2000 Einwohner groß, liegt am Rande eines Marine-Schutzgebietes hinter dem Cabo Gato. Im Sommer ist es zehnmal so groß, aber die Häuser sind nicht mehr als 2,5 Geschosse hoch und liegen dicht zusammen, ein paar Restaurants, ein paar Strandbedarfsläden und Souvenir Shops, das war´s. Nach all den zukünftigen Immobilieninvestmentruinen kommt es mir zauberhaft vor, es kommt das Anholt Feeling auf. Steeldrums auf der Promenade und ein erstaunlich fingerfertiger Gitarrist vorm Supermarkt und der Ort wirft seine Angelhaken aus. Es ist strammer Poniente angesagt, wir machen einen Tauchschnupperkurs. Nachdem ich dem Tauchlehrer erklärt habe, wir hätten vor Jahren mit einem Freund, der Tauchlehrer ist, drei oder vier Tauchgänge gemacht, bekommen wir eine Auffrischung im Schnelldurchlauf und dürfen mit raus, eine ganze Tauchflasche lang erkunden wir die Seewiesen in unserer Bucht, rote Seesterne, Seeigel und tiefdunkelpurpurne Anemonen, silbrig-gelbe Sardinen und nette bunte Fische, die ich nicht kenne. Der Tauchlehrer sucht den ansässigen Oktopus, kann ihn leider nicht finden. Es ist magisch, durch das klare Blau zu tauchen, unsere Flossen über dem Seegras lassen es wogen, als würden merkwürdige ungeschickte Vögel darüberfliegen, und über uns ein Scharm von blassen, ab und zu silbern aufleuchtender Fische, lebendiges Bühnenlametta, und ganz darüber schimmert die Wasseroberfläche, endlich bekommt das Meer Volumen und wir sind mitten drin.

Den einen Tag gehen wir nach Westen aus dem Ort an eine Bucht, den anderen nach Osten an eine andere Sandstrandbucht. Die Landschaft ist Filmhintergrund gewesen, Pirates of the Caribbean und Indiana Jones – sagen sie hier, egal, die aride Vegetation ist staubig, nur in den kurzen Wadis schmalblättrige Bäume, deren Schatten viel Licht durchlässt, erdgrüne Agaven, ihre Fruchtstände schwarz gegen den Himmel, kurzstämmige okergrüne Stachelpalmen und sukkulentenartige Gewächse. Dunkle Kiefern sind hier besonders harzig, ein wenig feuchtere Seeluft und schon duften sie wie Weihrauch und Leder, und bis auf ein paar Wanderer und Mountainbiker haben wir all diese asketische Wüstenlandschaft für uns, das Wasser ist dank Poniente frisch vom Atlantik herübergedrückt worden, klar und kalt, wir sehen die Seegraswiesen von oben durchs Wasser und einmal bilde ich mir ein Gruppe von Delfinen ein, die Schaumkronen springen in einem ganz anderen Rhythmus als der Wind ihn vorgibt. Hier bildet das Mittelmeer einen Kindheitstraumhorizont.

In der Nacht von 23.6 auf 24.6 ist San Juan- von der katholischen Kirche wurde der Johannistag auf genau 6 Monate vor Christi Geburt am 24.12 festgesetzt, um die Bedeutung von Johannes herauszuheben. Hier fällt es mit dem Beginn der großen Ferien zusammen, große Strandparty ist angesagt, mit Lagerfeuern, unendlichen Mengen bunter Getränke, Musik aus Blastern und später Feuerwerk.

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