Nach Roscoff


Wir tanken noch einmal zollfrei und beginnen die Fahrt in Richtung Roscoff in schönster Abendstimmung bei leichtem Wind, sonnig liegt das Meer. Dünung trägt uns sanft und dank Tidenstrom kommen wir auch mit wenig Wind elegant in die Nacht. Der Mond begleitet uns bis kurz nach Mitternacht, da der Herbst naht, bleibt es nach Monduntergang noch lange völlig dunkel. Die Sonne kämpft sich gegen acht durch die Wolken. Zum ersten Mal erlebe ich Atlantik-Dünung, in weiten Schwüngen hebt und senkt sich das Meer.
In Roscoff empfängt uns ein riesiger weiter Himmel, mit dem speziellen Licht und der Transparenz eines Herbsttages, der morgens alle Feuchtigkeit mit dem Tau der Erde anheimgegeben hat.
Der Ort selbst ist sehr bretonisch, graue Feldsteinhäuser mit Fensterfassungen aus großen Granitecken, Creperien, Fruits de Mer, Sehr nett und proper, ein alter Hafen (fällt trocken), einem typischen enclos parois, einem Kirchhof, der mit der Kirche auch ein Beinhaus und den Kirchgarten umfasst.
Die neue Marina ist schick, mit Brasserie und Restaurant. Ein paar Schritte weiter ist ein exotischer Garten mit Palmen. Eine Gruppe von Jungs hängt herum, ich denke Illegale, sie schnorren eine Dusche und einen warmen Platz in den Sanitäranlagen, laden die Handies auf, aber sie sind extrem sauber und unauffällig.
Wir fahren mit dem Bus nach Morlaix, einer ehemals wichtigen Hafenstadt, deren Blütezeit im 16. Jahrhundert schöne Häuserfronten und Plätze mit Fachwerkhäusern hinterlassen hat. Der Hafen versandete, im 19. Jahrhundert wurde ein Aquädukt quer durch die Stadt für die Eisenbahnstrecke Paris-Brest – heute undenkbar, aber mir imponiert der damalige Glaube an die Zukunft. Lange, bis 2004 war eine große Tabakfabrik des Staatlichen Tabakmonopols in Morlaix, man merkt, dass die Stadt unter der Schließung gelitten hat, aber es ist Markt und die Cafés sind belebt, es gibt junge Läden und Initiativen, vor der Stadt fährt der Bus durch eine Reihe von großen Läden (Baumarkt, drive In, Maschinenparks), das findet in den engen Gässchen keinen Platz. Vor Jahrzehnten war ich in der Bretagne, ich erinnere mich an endlose Strecken auf kleinen Straßen, fast Hohlwegen, aufgescheuchte Elsterndruiden, jetzt fährt der Bus von Dorf zu Darf über eine vierspurige Nationalstraße- es geht also weiter. Vom Bus aus kann ich ab und an einen Blick über die Bucht von Morlaix erhaschen, auf dem Wasser Segler zwischen den steinigen Inseln, auf den Hügeln blauer Kohl, grüngraue Artischocken, dunkelgrüne Zwiebeln, dazwischen kunstvoll durchbrochene graugranitene Kirchturmspitzen.

Mit den Rädern fahren wir nach St. Pol de Leon, ein kleiner Ort mit zwei riesigen Kirchen, ehemaligen Klosterschulen und Ursulinenkloster.Zwar geht es rauf und runter, aber ich freue mich an dem Blick über die Bucht, den Geruch nach Nesseln und Kapuzinerkresse, den Feldern mit Kürbissen und zartlila Disteln. Es ist wirklich La France Profonde, das tiefe Frankreich mit seiner sonntäglichen Spaziergangsstimmung.