Cadiz

Cadiz

Morgens Wind, mittags Flaute, nachmittags 4-5 bft bei schönstem Sonnenschein, wir kennen das nun. Heute leider aber aus der Richtung, in die wir wollen.

Je näher wir der Straße von Gibraltar kommen, desto sichtbarer wird die Marinepräsenz. Wir hören mit, wie ein spanisches Marineschiff ein US-Schiff bittet, auszuweichen, da es manövrierunfähig sei. Langsam kann ich verschiedene Schiffstypen nach der Silhouette auseinanderhalten. Ich glaube, ich habe ein U-Boot gesehen, aber es ist nur halb eingetaucht.Fast jeden Tag haben wir feldgraue Helikopter gesehen mit Sondendomen an der Nase, reger Transportflugzeugbetrieb zum Marinestützpunkt Rota. Die Gegend ist zum einen eine strategisch kritische Stelle, der seit langem militärisch sensibel ist, auch schon vor der Schlacht von Trafalga, seit Jahren ist hier Migration/Flucht aus den Krisengebieten Afrikas und ihre Eindämmung ein Brennpunkt und schließlich auch seit Februar eben auch die Kontrolle der Sanktionen gegen Russland. Vor Cadiz liegt ein goldfarbenes 30 m Segelboot unter maltesischer Flagge vor Anker- ich weiß nicht, ob ich den Funkverkehr richtig verstanden habe, dass es vom Grenzschutz kontrolliert werden sollte, vielleicht assoziiere ich auch nur plausibel.

Bei der Anmeldung per Funk am Hafen jammere ich ein bisschen, zu viel Wind. Freundlich wird der sailor auf den Steg geschickt und spart uns so das erstmalige Anlegen am Wartesteg. Es ist soo heiß. Als wir die Altstadt von Cadiz zu Fuss durch den Containerhafen erreichen, bewundern wir die Weisheit der Araber, die Cadiz/Gadis als erstes bei der Eroberung der iberischen Halbinsel eingenommen hatten und als letztes aufgeben mussten: enge Gassen, Häuser mit riesigen, beschlagbewehrten Eichentüren, hinter denen sich dämmerige Innenhöfe mit Pflanzen und Arkaden oder offenen Treppenhäusern verbergen, der Schatten ist wohltuend. Zur Wasserseite schöne Baumalleen mit Wasserkunst, Marmorstatuen und schattenspendenden Gummibäumen, Palmen. Bougainvileae und letzte Jacarandablüten. Wir sehen die ersten Straßen mit Orangenbäumen als Straßenbäumen. Ganz langsam gewöhnen wir uns an den spanischen Rhythmus, am schönsten sind die Abendstunden, wenn die Sonne untergeht und etwas Kühle die Lethargie aufhebt.

Chipiona

Chipiona

Morgens Wind, mittags Flaute, abends 4-5 bft bei schönstem Sonnenschein. Der Hafen liegt in einer staubigen Baustelle, wir machen uns auf über Schotterwege um eine Reparaturmöglichkeit für die Klampe zu finden, zwischen Blumenfeldern und Tomaten-Gewächshäusern, Hundegekläff. Der Guadaquivir (an dem Sevilla liegt) ist gemächlich, es ist heiß, wir laufen durch Vorstadt, an einer Schnellstraße vorbei zu einem müden Gewerbegebiet, selbst der goldene CLS Mercedes ist völlig verstaubt. Die verbogene Schraube kann mit einem Handgriff aus der Klampe geholt werden, aber weiter kommen wir heute nicht.

In Portugal haben wir alle Lebensmittel einkaufen können, die wir brauchten, aber oft war es etwas einfach. Wieder in Spanien, hier in Chipione gibt immerhin es einen großen klimatisierten Carrefour mit frischem Feldsalat, Mousse au chocolat und Wasser mit Gas.

Chipiona ist erstaunlich schön, zweigeschossige Häuserzeilen, zur Strasse sehr solide vergittert, viele hundert Jahre Piratenerfahrung hinterlassen ihre Spuren, gut gepflegt, etwas außerhalb des historisch mumifizierten Kerns um das Fort gibt es Geschäftigkeit und Geselligkeit. Wir kommen zu spät zum Strand, schon hat der Nachmittagswind begonnen und wir werden sandgestrahlt. Strandprofis sitzen entweder auf Klappstühlen auf dem feuchten Strand, der grade von der Ebbe freigegeben ist oder sitzen in plauschenden Grüppchen zwischen den Korallenriffen in Wasserkuhlen wie in einer Badewanne. Man sagt, das Wasser sei jodhaltig heilsam- bestimmt aber ist der Schwatz Seelenlabsal.

Ich ergötze mich an dem Gefunkel des uralten Leuchtturms, die mit einem Glassturz aus Rauten- Bleiglas abgedeckte Fresnellinse blinzelt mir freundlich zu, die Palmen glänzen gegen das Azur des Himmels und rascheln mit ihren Fächern- das ist Süden.

Nach Vilamoura

Welle und nicht genug Wind von hinten, unsere Mittelklampe ist nach einer Patenthalse dahin! Ich möchte nicht wissen, was passiert wäre, wenn der Bullenstander nicht die Klampe geopfert hätte. Sieht aus, als müssten wir uns mit Holzarbeiten und Unterlegplatten befassen 🙁

Ich bin immer noch nicht so richtig orientiert, welche Leine wann wohin gehört, und so wäre ich, wenn uns nicht der Marinero Wind mit dem Schlauchboot in Richtung Steg gedrückt hätte, wohl noch immer dabei, das Schiff breitseits gegen den Wind an den Steg zu ziehen. Unser Platz im riesigen Hafen ist bei den kleinen Booten und ich wundere mich, warum denn ein Helikopter die ganze Zeit über uns kreiselt. Irgendwann entwickele ich die Theorie, dass das die Klimaanlage des ***** Resorts ist, das uns den Blick aufs Wasser verstellt.

Vilamoura ist komplett als Ferienort der Phantasie eines Investors entsprungen, keine Schule, nur zwei einfache Lebensmittelgeschäfte, Ärzte für Ausländer, nach mehreren Besitzerwechseln nun im Besitz von Lone Star Investments. In der Marina mehrheitlich große und noch größere Motorboote, wir liegen neben einem mit dem Namen Dom Ruinart. Ausflugsboote mit Junggesellenabschieden oder Junggesellinnenparties laufen jauchzend gegen die Welle aus, am Steg sehr schicke Bars. Unter all den schicken Leuten ist auch immer einer dabei, der die Freude des Wiedererkennens des Clichés bedient: Dicker Anzugträger mit lässig auf Knie der unscheinbaren, aber bemühten Begleitung abgelegtem Arm: alles meins; Arrangeure verschwenderischer Tischgemeinschaften; die Dame mit diskretem Blick zur Seite, während die Begleitung konzentriert versucht, den Drink vor sich zu fokussieren, aber leider der Kopf wegfällt; Anbaggerei allerorten, inklusive Mulattas und Gentlemans Etablissements. Im vereinzelten Supermarkt eine Engländerin mit pinkem sunshade und Golfoutfit, normale englische Hausfrauen legen substanzielle Ginflaschen-Vorräte an. Das pralle Leben, alles signalisiert: hier wird Urlaub gemacht auf gehobenem Niveau, hier trägt man Riemchenschuhe oder Mules. Bislang die Marina mit dem höchsten Glamourfaktor 🙂

Isla Canela

Morgens Wind, mittags Flaute, abends 4-5 bft bei schönstem Sonnenschein. Dieser Hafen ist die kleine, in die Jahre gekommene Version des Modells Resort+ Hafen von Vilamoura, auf der spanischen Seite des Grenzflusses, die Geschäfte mickerig, fast alle zu. Hier verbringt man ein paar Tag auf der ländlichen Seite, nachts Hundegebell.

Sines nach Lagos

Ach, dachte ich beim Rumradeln in Sines, dass Industrie und Land zusammengehen könnten

Kaum hatte ich gefeiert, dass das Unkraut sich die Parkplätze zurückerobert, schon sehe ich die Männer mit den Trimmern und Laubbläsern, die wieder für Ordnung sorgen.

Und mag um Sines herum noch viel Land sein, von Koexistenz kann nicht wirklich die Rede sein. Kaum sucht man nach ein paar Stichworten, schon findet man Studien über die Auswirkungen der Petrochemie in Sines auf Muscheln, die polyzyclische aromatische Kohlenwasserstoffe in höherer Konzentration haben. Auch die Bevölkerung stellt Forderungen zum Industrieentwicklungsmanagement, je nach Alter, die älteren wünschen sich bessere medizinische Angebote, die jüngeren besseres Emisionsmanagement seitens der Firmen. Im Fischereihafen gibt es ein Wohnheim, dort sehen wir relativ viele philippinische Seeleute, ob es Matrosen der großen Frachter sind, die während der Ent/Beladung dort unterkommen oder Mitarbeiter im Fischfang, ist nicht zu sehen. Im Yachthafen wird eine neue große Betonplatte gegossen vermutlich für Hallenplätze, dort vor allem schwarze Arbeiter. Es fühlt sich so an, als würde die Gemeinde den Fortschritt immer noch im Asphaltieren/ Betonieren und Bereitstellung von Mobilitätsinfrastruktur finden..

Aufbruch ganz noch im Dunkeln, aber kein schöner Sonnenaufgang, weil es so neblig/diesig ist, kaum Wind, kein Abschied. Alte Wellen und schwacher Wind von hinten, grhh. Irgendwann gegen Mittag klart es auf mit der Nachmittags Nortada und wir umrunden Cabo Sao Vicente mit gutem Blick auf gischtende Wellen und ordentlich Speed. Um die Ecke wird die Welle kürzer, da kaum fetch, aber ordentlich Wind, unser Seemansgarn metert 7 Beaufort. In Lagos begrüssen wir die Flachstelle in der Einfahrt, aber Jürgen meistert die Grundberührung souverän und dann legen wir am Wartesteg an und blicken zufrieden von der Ankunft auf die Promenade mit Palmen, Restaurants und der Altstadt. Ein dort liegender Engländer erzählt uns die nun schon zweite Geschichte über Orca-Begegnung. In Sines hatte ein Schiff schon sechs Monate gelegen. Das Paar, das die Reparatur begleitet, berichtete, der Orca habe nach dem Wegknuspern des Ruders noch einmal stolz aus dem Wasser geschaut, triumphierend „Ich habs geschafft“. Sie warteten nur noch auf die Freigabe des Boots von der Polizei. Es gibt ja die verschiedensten Theorien, ich lese eine, die berichtet, dass die Orca-Gruppe in den letzten Jahren von 50 Tieren auf 30 Tiere geschrumpft ist, weil die großen Thunfischfanganlagen sie beim Jagen und Beutemachen behindern sowie Verletzungen hervorrufen. Dazu kommt der Stress durch den vielen Bootsverkehr, sowohl kommerzieller Verkehr, Fischereiboote und viele Freizeitboote. Andere sagen, dass Segelboote gute Jagd-Trainingsobjekte sind für die Jungtiere.

In Lagos selbst ist noch Vorsaison, aber schon gibt es eine große englische Gemeinde, das Angebot ist darauf zugeschnitten: Guiness on tap, english breakfast, viel Musik. Hier tobt das Ferienleben. Am Platz neben der alten Festung ist der ehemalige Sklavenmarkt, wir schauen uns die Ausstellung an, die sich sehr vorsichtig dem Thema nähert, dass insgesamt (von allen Beteiligten) 12 Millionen Menschen aus Afrika nach Amerika und Europa transportiert wurden (10 Millionen kamen überhaupt nur an). Der Anteil der Portugiesen wird nicht ganz klar, mindestens aber die 3,5 Millionen Menschen die nach Brasilien verkauft wurden, dürften den Portugiesen zuzuschreiben sein. Wie auch auf Kuba (4,5 Mio) wurden die Sklaven für den Zuckeranbau und die Zuckerproduktion eingesetzt, in Brasilien später auch für die Kautschuk-Ernte. Die Bekehrung zum Christentum und Einbindung in die Religion wird thematisiert, indem auch Schwarze unter den von Engelsmänteln bedeckten Beati und Heiligen dargestellt werden, etwas abseits wird auch erwähnt, dass Sklaven nach dem Tod einfach zum Müll gelegt wurden..Übrigens wurde in Brasilien die Sklaverei abgeschafft zu einem Zeitpunkt, als durch die Industrialisierung klar wurde, dass man mit freien, frei kündbaren Arbeitern noch besser Profit machen konnte. Jürgen wundert sich über meinen misanthropischen Gesichtsausdruck.

nach Sines

Sesimbra
Wir reiben uns die Augen so schön ist es (und so sehr hat uns der Heuschnupfen erwischt), kristallklares Wasser, Tauchtouren von mindestens drei großen Tauchschulen, die Brandung hat große Höhlen in die Kalksteinberge gekehlt, es donnert eindrucksvoll. Gepflegter Strand, schöne Atmosphäre. Da immer nur nachmittags ab 13:00 segelfähiger Wind geht, machen wir uns gleich am nächsten weiter auf, um die Strecke in nachmittagspassige Etappen zu teilen.



Sines
Nördlich Ölraffinerien, sudlich PSA Autoparkplätze und Zulieferteile Umschlag, in der Mitte ein prächtiges Marinabetreibergebäude (ein schicker Stuhl zur gemütlichen Betrachtung der Netflix-Serie: Waschgang Buntwäsche 40°, ein kleines Kinderklo und kleines Kinderwaschbecken, alles spricht von guten Gewerbesteuereinnahmen). Die Vasco da Gama Bucht ist schön, das Wasser sieht türkisblau aus, geschätzte 18-19° reichen zm Anbaden.
Das Kunstzentrum ist alles andere als provinziell, der Bau ist portugalweit prämiert und die Ausstellung wird aus den Beständen der Calouste Gulbenkian-Stiftung in Lissabon bestückt, eine anregende Mischung lokaler und nationaler zeitgenössischer Kunst. Ein Künstlerbuch hat es mir angetan, eine Dopelseite wird gezeigt, nur die Schrift ist erhalten, der gesamte Hintergrund ist weggelasert, man schaut auf eine nicht interpretierbare farbige Tafel im Untergrund: „Unsichere Worte“.
Der Wind kommt aus Süden oder gar nicht, also machen wir einen längeren Ausflug zum Intermarché (genausoschlecht wie in Roscoff) alles sehr mexikanisch: von einer zweispurigen Autobahnzubringerstraße geht ein Feldweg ab und 100 m ins Nirgendwo hinein sind drei aufwändige Einfamilienhäuser gebaut, mit soliden Mauern die Grundstücke abgegrenzt, dahinter könnten ja die Wüstenfüchse wohnen. Riesige Einfallstraßen mit einem Gelände für Gewerbeschuhschachteln, in denen sich Intermarcé, Pingo Doce, Continente nebeneinander befinden, das architektonische Highlight ist der McDonalds mit seinen charakteristischen Plastikmöbeln, dem amerikanischen Kinderglück. Anlässlich dieser Erfahrung schaue ich nach: Portugal hat etwa genausoviele Autos pro 1000 Einwohner wie Deutschland, also verfügt jede Familie über ein Auto und man kann die Einkaufsmöglichkeiten in die Gewerbeaußenbereiche verlagern. Das erklärt auch, dass hier in Sines, anders als in Porto und Lisabon, praktisch kein ÖPNV existiert. Ich habe meine unwissenschaftlichen Indizes erweitert: Wenn es wenige Friseure gibt, hat die Stadt nur das Erforderliche zum Leben, alles weitere eher nicht. Demnach ist Sines eine solide Arbeiterstadt, zwar gibt es am Rand ein paar neue Wohnblocks und auch ein paar auffällige Villen mit Meerblick, aber das könnten auch schon auf die Träume vom neuen Datacenter in Sines (geplantes Investvolumen 3,5 Mrd €) vorgreifen, mal gespannt was sich davon realisiert.
Tags drauf machen wir uns mit den Rädern auf: erst nach Süden auf der Bundesstraße. Wacker halten die Oleander auf dem Mittelstreifen durch, sehr unterschiedliche Pflanzen, ich erkenne Mimosen, Kiefern, Dünennelken, Mastix erobern sich tapfer das Gelände zurück- nach dem großen Containerterminal kommt noch ein Steinbruch und dann ein großes Kraftwerk, dann endet das Gewerbesteuergebiet von Sines und die Radwege hören unvermittelt auf. Wir schieben zum Strand vor, ein toller Blick, aber tiefer Sandweg. Dann also nach Norden: nach dem Fischerhafen und LNG Terminal ist eine Kompensationsfläche erschlossen durch einen Holzsteg. Das Wasser, auch bei uns im Hafen, also genau zwischen den beiden Industriebereichen ist ganz sauber, viele Fische tummeln sich und knabbern ab und am Bewuchs des einen oder anderen Schiffes, insgesamt wird überall auf Ordnung geachtet, man wirft mit qualifiziertem und zertifiziertem LNG Hafen. Auf mich macht es den Eindruck, als könnte hier eine Koexistenz zwischen Entwicklung und Industrie und natürlichen Habitaten möglich sein, auch weil das Hinterland noch so riesige Landreserven hat.
Und Törtchen habe ich gefunden, sehen aus wie beste französische Konditortradition, schmecken auch fast so- bestes Backwerk seit Bilbao 🙂


Lissabon



Das Licht hier ist südlich:, die Luft ist trocken, der Sonneneinfall ist senkrechter, das Violett der Jacaranda muss sich zusammenballen, um nicht gegen den azurblauen Himmel zu verschwinden, die Mimosen sind krass gelb und hellen das Schattendunkel unter dem Schirmbaum des Miradour Gloriosa auf, das Zartrosa der Tamarisken, die karminroten Bürsten des Lampenputzers Callistemon, die Farben sind ungebärdig, sie strengen sich an und widerstehen der Helligkeit des Lichts. Ich lege den Kopf schief , durch meine polarisierte Brille flimmert der Tejo bronze-gold, ein verlorener Schatz Topaze auf dem Grund des Flusses. In der Hitze delirieren die barocken Formen vergessener Paläste, träumt die Tanzakademie von graziösen afrikanischen Moves, gewaltigen Sprüngen und drohenden dumpfen Fussgeräuschen,
Heute im MAAT, einem umgebauten Elektrizitätswerk mit Bildersaal, der daneben stehende Neubau wirkt fast wie eine Jakobsmuschel geschwungen, mit einer vorsichtigen Öffnung zum Fluss hin, als würde der Bau das Wasser des Tejo ein- und ausatmen. Im Neubau zwei Ausstellungsbereiche, einer mit einer großen Videoprojektion einer taiwanesischen Stadt, einem rollerblade artigen Sprawl, der aber durch die Verlangsamung die Dichte, das Getriebene und Drängende der Stadt verliert. Einerseits ist durch die Größe und schwingende Spiegelarchitektur der Projektion gesichert, dass der Sichthorizont ausgefüllt wird, ungeniert gebe ich mich der Schaulust an den fremden Gesichtern hin, bis irgendwann die Erschöpfung der vergeblichen Ansptrengung eintritt, Sinn oder Bedeutung dem Geschehen beizumessen. Vielleicht ist das der Bill Viola Effekt: Werden Szenen schnell geschnitten, registriert man sie matter of factly und ganz im Sekundenurteil befangen wird die Szene zur einfachen Geschichte. Dehnt sich der Moment, wird die Gelegenheit zum zweiten Eindruck genutzt, reflektiert und nach Bedeutung gesucht, wobei man im Bildlichen an sehr enge Grenzen stößt.
Der andrere Teil zeigte wie sich die Immigrantion aus den länglichen Regionen und den Ex_Kolonien Areale erschließt, Häuser squatten, Musik produzieren. Warum schließt sich diese Gruppe den amerikanischen Vorbildern an, welche Leerstellen oder Freiräume bietet die Stadt- macht Stadtluft immer noch frei oder wirft es zurück in ältere Formen von clanartigen Gebilden, weil es keine urbane Gemeinschaft gibt die sie auffängt? Interessanterweise wird in den Ausstellungserläuterungen nur der Anspruch der einzelnen Sektionen beschrieben, eine Zuordnung zu den Exponaten, quasi als Beweisführung fehlt. Dennoch glaube ich, dass dass Maat eine Institution werden könnte, die die Selbstreflexion von Lissabon unterstützen kann. Schließlich gibt es noch ein weiteres Gebäude mit wundervoll restaurierten Maschinenräumen des alten Elektrizitätswerks. Ich könnte tausend Bilder machen, hier ist das letzte Mal eine industrielle Revolution wirklich manifest, das Gebäude ist aus industriellen Ziegelsteinen, aber mit den herrschaftlichen Strukturen (riesige Sprossenfenster in riesigen kirchenschiffgroßen Hallen), die Maschinen mit enormen Dampfkesselleibern, Geäder von Wasserversorgungsleitungen und Dampfsteuerventilen, brummenden Generatoren und aufs nötigsten reduzierten Steuerelementen.
Am Fluss zu Abend gegessen, der Bahnhof Cais do Sodre teilt das Ufer- den besseren Teil nach Osten hin, den wilderen Teil nach Westen hin. Das Restaurant lag eher im Westen, ein zauberhafter Blick über den Fluss auf die Industrieen auf der anderen Seite. Anderntags musste mein Fahrrad einen neuen Mantel bekommen, der Ausflug führte in wieder neue wild arabische Gebiete der Stadt, faszinierend, wie sprunghaft über einen Block weg eine andere Atmosphäre herrscht. Abends im LX Factory, mit der ich voher schon mit Hannah gewesen war. Das Straßentheater ist eine rechte Nummernrevue, geplatzte Rendevous, eine Motley Crew versammelt sich zum Abteilungsessen in ungewohnter Atmosphäre, sehr stylische POC zeigen, wie angekommen sie sind.

Als wir am Morgen dann losfahren, hören wir den Lärm der Stadt, ihre akustische Kulisse aus Flugzeugen, Fahrzeuglärm, Ambulanzen/Feuerwehren noch stundenlang.


Nazaré

Nazaré
Wieder beginnt der Tag mit Nebel, aber dann können wir doch geruhsam ein bischen segeln. Fast die Hälfte der Strecke! Und wir sehen eine Gruppe Delfine, erst ein zusätzliches Glänzen auf dem Wasser, ein paar Schaumkronen, die überzählig sind und dann die dreieckigen Rückenflossen, die Tiere haben ihren Spass und spielen um uns herum.
Die Surf-Saison geht von Ende Oktober bis Ende März, als wir kommen, ist das Meer platt wie eine Tischplatte. Dennoch ist noch eine Gruppe mit Klampfe am Strand, ein paar beach-soccer 5 Gruppen trainieren sehr professionell und am Wochenende soll Jazz/Samba stattfinden. Einige kleine Boote sind liebevoll restauriert und in Buntstiftfarben angemalt, ein paar alte Fischer trocken Fisch am Strand und verkaufen ihn gleich. Es sind kleine Gesten, die aber dem Ort ein paar Eigenheiten mitgeben und ihn abgrenzen von Afurada oder – da greife ich vor, von Peniche. Eigentlich wollte ich nie mehr hingucken, aber das allmähliche Schwinden des Lichtes bei gleichzeitigem Hellerwerden des Meeres zu einem sublimen Silbertürkis, der die vergangene Sonnes des Tages auf den Gesichtern noch einmal glühen lasst, war immens sublim.

Peniche
Noch ein Tag durchgehenden Motorens, der Ort ist ein großes Gewürfel kleiner bunter Häuser, ein großes Fort, viel Fischerboote.

Figueiras

Figueiras do Foz

Am Samstag brechen wir endlich von Porto auf, in aller Frühe und erleben kurz hinter den breakwater Signalen das Durchkommen der Sonne, eine hellere Stelle im Nebelgrau, die sich immer mehr verdichtet und schließlich eine kompakte Scheibe im Dunst bildet. Für einen kurzen Moment sieht das Meer aus wie ein Kondensmilch-See mit hechtgrauen Schlieren, dahinter die Ausläufer der Stadt, nach dieser langen Zeit ist es richtig Abschied und Aufbruch! Dann wird wieder alles dichtes Grau, kühl feucht und ein Meer, das eher nach Akustikwellen einer Motorstörung aussieht als nach Segeln. Ich habe mich aber leider überschätzt, ich merke, dass ich für einen Nachtfahrt noch nicht wieder fit bin, die Glieder tun noch weh, der Schwindel ist fiebrig und so beschließen wir, statt bis Lissabon nur bis Figueira do Foz zu fahren. Wir sollen an Ponton G gehen- G wie Guano-Felsen, die Stege sind voller Mövenschiet und auf den Pollern sitzen die großen Graumöven und beobachten genau, ob ich auf der Schleimpupserei ausrutsche oder nicht. Ich weiß nun, wozu die sehr dünnen Drähte oder Angelschnüre dienen, die auf den Stammstegen wie Pergolen gespannt sind: vermutlich sind es Mövenschreck-Drähte, sie sind so dünn, dass die Möven sie nicht sehen und dagegen fliegen und sich so erschrecken, dass sie diese Geisterstege meiden.
Figueiras hat die Größenordnung von Gifhorn, wird aber im Sommer von Zweitwohnungsbesitzern aus dem Binnenland und der spanischen Extremadura als Ferienort genutzt, Hafen, Salzgewinnung, damit auch Stockfischproduktion. Wie in Porto auch bereits, sind viele ältere Leute kleinwüchsig, ich befürchte, das kommt noch aus den Hungerjahren zum Ende des Estado Novo, wo eine ganze Generation in der frühen Kinder zu wenig zu essen hatte. Ein paar alte Häuser nett hergerichtet, ein paar alte Häuser sind Wohnstätten für Pflanzen geworden, aus jeder Baumode seit den 70 er Jahren sind ein paar Blöcke erhalten: Hochhäuser mit bunte Riemen aus dem 60 Jahren, possierliche Verandagestaltung aus den 80 ern, 90 er Spiegelglas, unbeschwert macht man, wofür man grade genug Geld hat. Am Strand ist ein altes Fort zum Hamburger-Lokal mit Techno-Terasse umgebaut, von oben tanzen am frühen Sonntag nachmittag der Koch und reckt seinen Kochlöffel zum beat in den Himmel, das hat was.

Leider habe ich Jürgen wohl angesteckt, also werden wir pausieren, die Sonne und die Gemächlichkeit sollen´s kurieren.