Sommerpause

Die Temperaturen im Juli und August sind uns zu hoch. Dazu gab es in den letzten Wochen auch wenig Wind – im Sommer im Mittelmeer normal. Wir haben daher beschlossen für einige Zeit nach Deutschland zu fahren und Zeit mit Kindern, Familie und Freunden zu verbringen.

Danebn planen wir dann unsere weitere Route. Es müssen auch Ersatzteile beschafft werden – die Batterien sind nicht mehr gut, die Segelpersenning löst sich auf……

Ende August geht es weiter.

Alicante

Alicante
Seit langem wieder eine Großstadt- der Paseo Maritimo und die Piazzas im Altstadtbereich sind großzügig und winddurchweht. Früher habe ich Gummibäume als Pflanzen für phantasielose Amtstuben belächelt, hier werde ich eines besseren belehrt und beginne, das Loblied auf sie zu singen: Ihre dunklen großen Blätter können sich wohltuend übereinanderlegen und großzügig Schutz den daruntersitzenden oder wandelnden Menschen bieten, ihre riesigen glatten Stämme bieten Nischen, um sich hinzusetzen und anzulehnen, sie gestalten schattige, aber windoffene Plätze, sie strömen eine jahrhunderte anhaltende Geduld und Gleichmütigkeit aus, das nach schwerem Leder klingende aneinander Klappen ihrer Blätter absorbiert die kleinteiligen Geräusche der Straße, oh wunderbare Freunde in hitziger Stadt!

An der äußersten Mole ist ein großes Areal eine Winterbrache, im Sommer haben sich hier mindestens vier Discos etabliert, jede mit substanziellen Bühnen und großen Mischpulten. Ab dem frühen Abend beginnt das Wummern und nimmt bis Mitternacht zu, erst bei Beginn der frühen Morgenstunden nimmt der Schalldruck ab. Im Cockpit wird mein Zwerchfell massiert, wenn man sich flach auf das Boot legt, merkt man das Vibrieren. Toda la noche, todas las noches (die ganze Nacht, alle Nächte) sagt der Marinero. Am ersten Abend habe ich begeistert den jungen Leuten zugeschaut und merkte, wie die Lust auf Tanzen in den Beinen kribbelt, phantasiere von tropisch warmen Nächten in einem riesigen Menschenrausch. Wenige Stunden später hasse ich den akustischen Müll, der sich nicht abschütteln lässt, der durchgängig monotone Basswums klingt in den Ohren nach, auch als er schon aufgehört hat, die gleiche sensorische Illusion wie das Nachbild nach einem zu lange Fokussieren eines grellbelb/grellgrünen Streifenmusters. Toda la noche, todas las noches.

Museo de Bellas Artes, Museo de Arte Contemporanea
Schöne Bilder, lokale Künstler: Landschaften in gelb, ocker und grau; eine Abstraktion der Alhambra in Granada besteht nur aus goldsand -farbigen und coelinblauen Schraffuren, eine wunderbare Schwebende, die Illusion von Tiefe erzeugende Textur stellt das Licht dar, als würde man blinzelnd ins Helle schauen.
Sempere: ich stelle mir vor: das ungeliebte einzige Kind einer reichen Familie, zurückgezogen und im autistischen geduldigen Ziehen von Strichen verloren, die sich verselbständigen zu Bändern und Flächen, aus Tinte gewebten Bandagen, die gipsfarbige oder dunkle Bögen markieren.
Andere nehmen manchmal die Oberfläche die Strukturen der groben, über all offenen schrundigen Erde auf, manchmal werden Gitter, Raster zu Bildelementen, lange Schatten von Einschränkungen, Ängsten, Trauer durch Krieg und Diktatur.
Malen ist schon eine merkwürdige Profession oder Berufung: hier in Alicante sind die grundlegenden Erfahrungen so anders, man schaut in Schaufenster tief in Keller herunter, die eigentlich einsehbare Ausgrabungshallen einer zweitausendjährigen Vergangenheit sind, man geht auf den Berg über jahrhundertelang ausgetretene glattgeschliffene Wege, der Blick über Land zeigt alle Farben roher Erde, offene Tagebauten, Salzflächen glänzen, weiße Plastikgewächshäuser, das glatte Meer, türkis, preussischblau, moorbraun, Arabesken von schmiedeeisernen Gittern, knotige Schutzgitter, liniendurchwobene punzierte Panzertüren. Eine Ordnung des Raumes nach Sichtachsen, nach den panoptischen Punkten ist ganz selten.
Und doch sind die Bilder im Bellas Artes Museum genau so wie die in Paris: ein blühender Apfelbaum, dessen weißer Blütenschaum wie Freistellungen, Löcher im Farbteppich sind, aus Frankreich geholte Damastseiden-Texturen, akademisch gemalte Key- Filmstills, die ganze Miniserien von Netflix zusammendampfen und mit dem ganzen Repertoire der maltechnischen Tricks arbeiten, um in den Ausstellungswettbewerben zu bestehen.

Wir erleben auf dem Platz des Ayuntamiento den Beginn der internationalen Bläsertage, ein tüchtiges Blechbläserensemble pocht mit hellen Fanfarenklänen an den noch dämmerigen Himmel, Schwalben flitzen umher, einige neugierige Gäste stehen auf den Balkons der umgebenden Arbnbs, das offene Wohnzimmer der Stadt wird mit Verve und Kunstfertigkeit bespielt, die leuchtenden glänzenden Klänge der Zarzuela und die tiefgrundigen gewaltigen Klänge der Slawischen Tänze von Tschaikowsky werden auch vom vorwiegend lokalen Publikum dankbar angenommen.

Morgens machen wir immer etwas, um die Sommerpause vorzubereiten, Genua abnehmen oder eine fehlende Klampe am Steg organisieren, aber dann ist es heiß und wir sitzen matt unter unserem Mini – Bimini. Dabei gäbe es noch so vieles Lockendes in der Stadt und der Umgebung, hoffentlich ist es dann Ende August etwas erträglicher. Jetzt freue ich mich sehr auf die Heimfahrt, die Kinder und die langen hellen Abende, deren Kühle so wohltuend ist.


Torrevieja

Torrevieja

Um das Cap Palo herum, und schon sieht man die kilometerlange Parade der Hochäuser auf der Sandzunge des Mar Menor. Wir machen einen Bogen darum (man hört von Quallen, Überdüngung und Algenpest, zu warmes Wasser und Mücken..kurzum, alle Schrecken des Mittelmeer sollen dort auf uns warten- hic sunt Medusae) Als ich die Hafengebühren in Torrevieja in Metallico (cash) bezahlen soll, wittere ich natürlich unversteuerte Geschäfte.

Auf dem ersten Landgang in der Abenddämmerung kommen wir am abgewirtschafteten Resort Nautico International vorbei, eine tüchtige Combo aus zwei Personen unterhält die brightongestählten und dauergewellten Engländer mit einem Potpourri mindestens 20 Jahre alter schleimiger Hits, es ist laut genug, dass man sich nicht unterhalten muss und kann, dank der Doppelspitze ununterbrochen dudeln. Weit hinten kreischt eine Kirmes, und im Dunkel am Abwasserkanal übt eine Gruppe Jungs Rap-Battles mit gereckten Fäusten, es klingt plausibel underdog zornig. Der letzte Block des Resorts ist aufgegeben, dort wohnen die Putzfrauen mit ihren kleinen Kindern, im Hintergrund dödelt die Glotze, die Kinder toben auf der Straße und werden von den Müttern gemaßregelt die Resortgäste nicht zu belästigen. Ein paar Meter in Richtung Stadt oder eher der typische urban sprawl, Resultat einer Bauaktivität ohne auch nur die Spur eines Versuches, irgendetwas auch nur in Ansätzen in Richtung Ansehnlichkeit gestalteten zu machen: 8 stöckige Behältnisse für menschliche Ameisen.

Am nächsten Morgen fahren wir mit den Fahrrädern am Paseo Maritimo vorbei, seit langem sehe ich die ersten Kaffeekännchen auf der Terasse eines Cafés, hier müssen Deutsche zu Hauf sein. An einigen Stellen ist die Wasserkante schartiger Kalkstein, teilweise haben sich schon spontane Salzpfannen gebildet, andernorts knallen frisch nitratgedüngte Algen grellgrün heraus. Alle bewegen sich adiabatisch langsam, um ja nur keine unnötige Wärme zu erzeugen. T-Shirtgröße 3XL und entsprechende Kleidersäcke engen nirgends ein. Die Männer, die ihre Short-Beine so nach innen stecken, dass eine Form von kurzen Pumphosen entsteht, in denen man auch ein altersgerechtes Windelpaket verstecken könnte, haben garantiert die Diskussion vom letzten Jahr, wie kurz den Männershorts sein dürfen (ja, short Shorts stellen die Frage, ob lange Männerbeine attraktiv sein könnten, meine Einschätzung: negativ) nicht mitbekommen.

Ich ziehe meine Polarisierende braune Sonnenbrille an, es ist eine Zauberbrille, die alles in photoshop artige Kontraste und goldene Farben taucht, irgendetwas wird doch schön sein. Das Meer schlägt kleine Buchten, mit dem Kalkstein sieht es aus wie eine groteske Badelandschaft, das türkisgrün des Wassers ist karibik-tauglich, man kann darin liegen, fast ohne sich zu bewegen, so salzhaltig ist es, der Blick in den Himmel ist unendlich. Beim Raustappen über Bauschutt gestolpert. Hinter der Salzförderanlage und neben der Entsalzungsanlage (eine der größten in der Region, 200000 Kubikmeter Wasser pro Tag werden entsalzen, frag nicht, was dass für Energie kostet..) ist der rosa Teich, man kann ihn als außerirdische rosa Fläche auf google Maps gut erkennen. Einige liegen im Wasser, wie im toten Meer schauen die Körper zur Hälfte aus der rosa Lake heraus. Ob das bei der Entsalzung anfallende konzentrierte Salzwasser hier gleich zum Verdunsten gebracht wird, konnte ich nicht herausbekommen. Torrevieja hat etwa 80.000 Einwohner, seit 2014 Tendenz abnehmend, am Hafen ist ein Plakat auf Dänisch: „Wir verkaufen ihre Wohnung schnell und gut“. Was hat die Leute noch in den 90gern geritten, einfachste Bauten zu errichten, im Stadtinneren gähnen überall noch Brandmauern, und sie dann billig an Ausländer zu verkaufen (etwa 60 Prozent der gemeldeten Einwohner sind Spanier), nur um dann zu merken, dass man sich heftig mit Infrastrukturmaßnahmen verschulden muss (Entsalzungsanlage), um das irgendwie zu betreiben? Dies ist wirklich auch mit Zauberbrille nur mit der Ansage: Entspann dich, alles locker nehmen zu ertragen.