Ein Jahr Segeln

Wir sind jetzt ein Jahr unterwegs, Zeit ein kleines Resümee zu ziehen.

Wir sind gestartet mit dem Ziel, durch das Segeln neue Erfahrungen zu sammeln, neue Länder und Orte kennen zu lernen und nach dem Arbeitsleben die Zeit zu nutzen und zu entschleunigen. Wir haben uns bewusst kein wirkliches Ziel gesetzt, aber schon das Mittelmeer anvisiert.

Nach einem Jahr können wir als erstes sicherlich positiv vermerken, dass wir bislang von Unfällen, größeren Schäden usw verschont geblieben sind, was sicherlich auch daran liegt, dass wir eben Zeit haben und angekündigtem schweren Wetter aus dem Weg gehen und lieber noch 1 oder 2 Tage im Hafen bleiben. Außerdem haben wir unsere Etappen eher kurz geplant, was natürlich die Wettervorhersage vereinfacht. Als Ergebnis sind wir dann aber doch langsamer vorangekommen als wir uns das in unseren Planungen für 2021 und 2022 mal so vorgestellt hatten. Nicht schlimm – wir haben ja Zeit. Die Treffen mit unseren Töchtern haben uns immer mal wieder angetrieben, damit wir sie terminlich hinbekommen. Wir haben die jeweiligen Interessen, die die Kinder eingebracht haben, als Bereicherung empfunden und die gemeinsame Zeit sehr genossen.

Seglerisch ist der Törn bislang eigentlich zweigeteilt: 2021 sind wir in den 6 Monaten mehr gesegelt (Strecke und Segeln) und haben mit Nordsee, Ärmelkanal mit seinen Tidenbedingungen und der Biskaya sehr anspruchsvolle und abwechslungsreiche Bedingen gehabt. Nach der Winterpause in Bilbao waren die Monate in 2022 bis heute seglerisch nicht so zufriedenstellend – wir sind deutlich weniger gefahren und haben dabei wesentlich mehr motort.  Insbesondere das Mittelmeer zeigt sich bislang eher als Schwachwindrevier, in dem unser schweres Schiff häufig nicht gut läuft. Dazu kommt seit einigen Wochen noch die frühe Hitze in Spanien, die selbst die Einheimischen überrascht. Wir überlegen jetzt, wie es nach der Sommerpause weiter gehen wird – Mittelmeer im Herbst? Zurück in den Atlantik? Marokko? Kanaren? Wir haben noch ein paar Tage Zeit, die Möglichkeiten hin und her zu wenden.

Eindrücke haben wir in den Ländern und Orten viele sammeln können, worüber wir ja auch in unseren Beiträgen immer mal berichten. Insbesondere kleinere Orte, die man beim Reisen mit Zug und Auto eventuell nicht anfahren würde, haben uns immer wieder positiv überrascht. Bei den bekannten Orten erwartet man dies natürlich und wird im Normalfall nicht enttäuscht.

Das Leben auf dem Boot ist eine Umstellung – Leben auf etwa 18qm im Hafen mit gemeinschaftlichen Sanitäranlagen, Suche nach Möglichkeiten für Wäschewaschen, begrenzte Lagermöglichkeiten führen zu häufigem Einkaufen…. Das deutlich Unangenehmste war sicherlich die Feuchtigkeit, die früh im Jahr nachts ins Boot drückte und alles klamm machte – schlimmer als die Wärme, die wir jetzt kaum aus dem Boot bekommen.

Sind wir entschleunigt? Noch nicht ganz. Noch sind wir nicht so weit, dass wir – wie andere Segler, die wir gerade im Mittelmeer treffen – wochenlang am Platz bleiben können. Selbst Bilbao oder Porto waren dann irgendwann nicht mehr so interessant, von anderen Orten zu schweigen. Müssen wir noch was ändern? Vielleicht (nicht). Wir sind eigentlich mit unserem Reisetempo ganz zufrieden.

Jetzt machen wir Sommerpause – Juli und August ist zu warm, zu voll. Wir freuen uns auf die Nachsaison.

Zum Abschluss die Statistik:

Gefahrene Meilen: 3472sm, davon 2037 gesegelt, 1435 unter Motor

Segeltage 73

Bereiste Länder 11

Häfen 67

Cartagena

Cartagena

Tagsüber presst die Sonne die Gebirgsfalten flach, der Buntsandstein, graue Lavabrocken und ab und so schiefrige oder gipsige Einschlüsse- alles ist flach, als wäre es eine alte Fotoplatte mit Sepiatönen. Wir brechen in der letzten Dämmerung des frühen Morgens auf, die Farben sind feuchtigkeitssatt gebläut, die diffuse türkise Helligkeit modelliert jede Bruchkante, jede Erosionsfurche, die harten, weit voneinander entfernt stehenden und mageren Pflanzen verwischen sich in der Ferne zu eine weich scheinenden Krume.
Nach diesem Tagesbeginn schwächelt der Wind, alles wird diesig, man sieht nur grobe Konturlinen. Der Motor tuckert, auf Dauer ist der Lärm nervtötend.
Vor dem Cap Timon steht Buckelwelle und die Einfahrt nach Cartagena geht durch die Abenddüse.
Die Nebenbühne des Heavy Metal Festivals grenzt an den Hafen, bis weit in die Nacht hören wir Metal, das wie die irre Musik einer Dinosaurier Geisterbahn grunzt und raunzt, erstaunlich, was Stimme und Gerät hergeben.
Cartagena ist etwa eine Viertelmillion-Einwohner groß, lebt von Petrochemie und Energiewirtschaft, hat einen großen Militärhafen und eine U-Boot Basis, Militärakademie und Werft. Nachdem die alte Minenindustrie eingegangen ist und die Ölwirtschaft nicht mehr so stinkt, beginnt die Stadt ihre Vergangenheit als Tourismuspotenzial zu entwickeln, ein Kreuzfahrtterminal bringt sie herbei, der Hafen ebenfalls, Cartagena war nach der Gründung durch die Phönizier der Ausgangspunkt für Hanibals Zug nach Italien mit den berühmten Elefanten. Die Römer nahmen schließlich die Stadt ein und bauten den Hafen als wichtigsten spanischen Hafen aus, im Gefolge kam die gesamte Zivilisation mit Forum, Coliseum und Theater. Nach dem Zerfall des römischen Reiches kamen die Sueben, Vandalen, Byzantiner und Niedergang. Mit den Arabern kam ein wichtiger Aufschwung als Handwerker und Handelsplatz, der aber mit der Bindung der Energien der Araber durch die Rekonquista wieder niederging. Die Reyes Catolicos dann vertrieben Muslime und Juden, wieder Niedergang. Erst als der Hafen die Basis für die Kriege gegen die Engländer wurde, ging es wieder bergauf und in den Erbfolgekriegen bergab, mit der beginnenden Industrialisierung und Bergbauaktivität bergauf und mit dem Bürgerkrieg (Cartagena mit Alicante war die letzte republikanische Mittelmeerhafenstadt) wieder bergab. Oft haben sich die Zentren verschoben (vom Berg ins Tal, dann die Versandung der Bucht und Auffüllung), die Stadt ist verwinkelt, mit archäologischen Inseln oder nicht bebaubaren Bergen, Befestigungsanlagen allüberall. Die Stadt ist schwer zu entziffern.
Abends gehen wir hinter die Hauptbühne, die Skorpions spielen. Auf der Straße wird getanzt, man hat locker Platz. Eine Gruppe verschleierter Frauen flaniert auf und ab, irgendwann kommt ein römischer Soldat und später Mittelalterpersonal vorbei, vermutlich hat es irgendwo ein historisches Reenactment gegeben, wenige Versprengte der Aktivitäten zum Christopher Street Day machen das Bild bunter, ein kleines Häuflein nordafrikanisch aussehender Jugendlicher in Fusßballtrikots albert herum, einige Eltern mit kleinen Kindern, irgendwo titscht ein beleibter Mann in knallblauen T-Shirt auf und ab, seine Frau schaut sich befremdet um, ob es unangemessen ist, aber auch die Mädels im spanischen Partyoutfit recken die Fäuste in die Luft und bewegen die Köpfe im Takt der kajal-äugige Lockenkopf singt aus voller Brust und textsicher die Balladen mit. Soviel zu schauen hätten wir im Main Stage Bereich sicher nicht.
Wie flexibel doch Wind of Change ist- ein gelb blaues Peace-Zeichen, und schon kann man es unkaputtbar weiterbenutzen..
Cala Cortina ist mit dem Bus erreichbar, man hat das Freibadgefühl, Halbstarke mit dunklen Locken hören fransösichen Rap, Krabbelgruppen mit Schwangeren Muttis, erste Lieben, alles da.