Ausgebremst durch Krankheit

Unsere Tochter ist wieder nach Hause gefahren. Die Zeit ging schnell herum. Auch wenn wir nicht Segeln konnten, wir haben in den 10 Tagen viel gesehen.

Noch immer ist der Wind nicht optimal aber er kommt wenigstens wieder aus der richtigen Richtung und teilweise könnte man auch Segeln. Lissabon ist das nächste Ziel.

Aber seit 2 Tagen ist Ulrike krank – Fieber, Husten, Kopfweh. Der Coronatest ist negativ, also wahrscheinlich eher eine Frühjahrserkältung, den wechselnden Temperaturen geschuldet. Eine Weiterfahrt ist trotzdem nicht angeraten. Wir werden noch 2-3 Tage hier bleiben und die Gesundung abwarten. Das Wetter ist schön, die Temperaturen zunehmend angenehm – ein guter Zeitpunkt ein paar kleine Reparaturen am Boot durchzuführen.

Insgesamt merkt man, dass seit Ostern die Saison angefangen hat. Viele der Boote in der Marina sind belebt, auch wenn wir festgestellt haben, dass ein guter Anteil für Übernachtungen bei Airbnb angeboten wird. Das Angebot wird wohl genutzt. Es kommen aber auch zunehmen Gastboote – Engländer, Schweden, Dänen, Norweger. Die meisten auf dem Weg nach Süden wie wir, einige nutzen noch die Chance jetzt nach Norden zu fahren. Im Sommer ist dies wegen der vorherrschenden Nordwinde mühselig.

Abstecher nach Lissabon/Flughafen

Nachdem wir ja 0 gesegelt sind mit Hannah ist Eisenbahnfahren nach Lissabon auf dem Plan.
Der deutlich sichtbare Verfall in Porto ist in Lissabon etwas abgeschwächt: Als erstes geben wir meine Rettungsweste zur Wartung ab, dazu müssen wir eine psychedelische Unterführung queren : komplett besprayt, sinistre Figuren skaten durch die Unterwelt, Klacken, Rollen, Klacken. Der Hafen in Santo Amaro macht einen modernen Eindruck, die Lokale drum herum sehen nach guter Ausgehmeile aus. Ein paar Straßen weiter nach Norden ist die LX-Factory, ein altes Industriegelände, in dem sich hippe Geschäfte angesiedelt haben, wie in China eine Zwischhennutzung, in der Geschäftsideen mal ausprobiert werden können. Eine riesige unabhängige Buchhandlung, in der ich Stunden verbringen könnte, cool. Das Marktgebäude etwas weiter ostwärts ist zweigeteilt: ein klassischer Gemüsemarkt mit üblichen Öffnungszeiten und ein fashionabler Foodcourt mit Streetfood, edleren Tellern und einem riesigen Spektrum von Getränken. Wir laufen weiter, während eines heftigen Regengusses stellen wir uns in einer Einfahrt unter, die durchaus auch noch als Einfahrt genutzt wird, fast wären mir die Fußspitzen abgefahren worden, so dicht behauptet der SUV sein Einfahrtsrecht. So fliehen wir in einen indischen Klamottenladen, der sich als wahrer Suk entpuppt, mit einer fast endlosen Folge von Kammern mit buntesten Kleidern, Farben Stoffe voll 60ties, unten in der Baixa sind asiatische Second-Handläden: Hier könnte man sich neu ausstaffieren für eine exotische Identität.
Mit vollem Kulturanspruch versuche ich Fado Noten zu kaufen, ein Anlauf: Musikinstrumentenmuseum – nix. Einer der zwei großen Instrumentenläden der Stadt: Die Verkäuferin meint, die Noten, die sie haben wären für nur Gitarre (Hat sie falsch geraten) aber im Fado Museum kaufe ich einfach ein Heft: Ich wundere mich darüber, dass eine Schriftform kaum zu existieren scheint, aber eigentlich ist es klar: wie Blues ist der Fado ganz Gefühl, wer es lesen will, liegt schon falsch.. Auf dem Restauradores Platz ist ein Obdachlosenzelt auf dem U-Bahnschacht aufgebaut, an einigen Stellen sind Kartonhäuser. Später sehe ich eine kleine Frau, schwarz angezogen, mit einem Tuch um den Kopf, wie aus den 30 ger Jahren, sie bettelt. Ich fahre mit dem Bus einen Umweg, kann ja mal passieren und komme durch Beato, wörtlich das Glückliche, ein Euphemismus, hier sind nur Betonblöcke, keine Eckkneipe, kein Lebensmittelmarkt, nur ein Geschäft annociert: compro Oro (kaufe Gold).
Porto hat mich immer wieder genarrt, durch die bergfaltige Topographie und gewundenen Straßen war die Stadt wie ein Spiegelkabinett: Man denkt, man ist nahe am Ziel und nach ein paar Minuten sieht man den Turm von einer ganz anderen Seite; Lissabon ist ähnlich, nur die Avenida Liberdade Achse und die Baixa (hier hatte das Erdbeben von Lissabon 1755 gewütet und die alten Viertel vernichtet, der Wiederaufbau erfolgte nach neuen hygienischen und aufgeklärten Grundzügen) geben etwas Halt, immerhin. Schöne Plätze: Kaffee vor dem Museum do Pharmacia (immer gibt es hier auch Straßenmusik) Castelo de San Joao – aber nach der Schließung der Burg.
Wir kommen an dem Ministerium für Umwelt vorbei, ein wunderbarer alter Palast mit herrlichem Garten, den wir nur erahnen können. Wir erhaschen einen Blick auf den Portier, der vor einem altertümlichen Aufzug seinen Arbeitsplatz hat, sehr formell mit Oberhemd und Krawatte, völlig untätig. Ich habe die Vorstellung, dass in einigen Palästen noch immer kleine alte Damen und hutzelige wohlgekleidete Herren leben, umgeben von alten Dingen und in einem träumerischen Leben befangen, Bücher mit wohlgesetzten Reimen durchblätternd und den Tag im Schatten blübender Kamelien verträumend, während andernorts sich arbnb Rollkoffer über die Plastersteine mühen, internationale Hipness zu verbreiten. Ich freue mich darauf, in ein paar Tagen mit Jürgen noch einmal zu kommen, es gibt so unendlich viel zu entdecken.

Coimbra


Holterdipolter mit dem IC nach Coimbra. Die Stadt hat sich in letzter Zeit, der Taxifahrer meinte vor 20 Jahren einen Gürtel aus Stadtautobahnen zugelegt, der den Kern mit einer engen, unwirtlichen Autozone umgibt. Die Baixa ist das alte Handwerker- und Händlerviertel, hier wurden die Waren der Flussschifffahrt des Modinho umgeschlagen, steil nach oben führen die Gässchen zur Universität, der ältesten Portugals und eine der Top 3 Universitäten des Landes. Der Komplex ist riesig, sehr alte Gebäude mit Kirchenmobiliar wurden durch große neue naturwissenschaftliche Fakultäten ergänzt . Wir essen in einer Art Unimensa, bei der wir uns unsere Tabletts auf einen Balkon tragen können mit herrlichem Blich übers Tal und in den botanischen Garten. Weiter hinten ist eines der alten Gebäude in eine Strafanstalt umgewandelt worden, man hat ja so viele davon und what´s the difference?.Auf der nächsten Bergkuppe weitere stattliche große Baukomplexe aus dem 18 und 19. Jahrhundert. Der botanische Garten hat es mir angetan, ein Teil ist ein klassischer terrassierter Barockgarten, ein anderer Teil ist ein Waldbereich, der während der Säkularisation den Klöstern abgekauft wurde. Es gibt ein Bambuswäldchen mit mindestens fünf Meter hohen Bambusrohren, die im Wind bedrohlich gegeneinander klacken. Ein riesiger Komplex von Gummibäumen, deren Stämme miteinander verschmelzen, ein tropisches und ein kaltes Gewächshaus sind weitere Attraktionen. Wie die Stadt auch, wird an manchen Stellen die Grenze zwischen entspannt und vernachlässigt zur Nachlässigkeit hin überschritten. Vielleicht liegt es daran, dass am Ostermontag viele Geschäfte und Restaurants noch geschlossen haben, vielleicht sind die Geschäfte in die außenliegenden Shopping center umgezogen, vielleicht liegt es daran, dass ein deutlicher Einwohnerschwund zu verzeichnen ist, es macht sich ein wenig der Eindruck des drohenden Verfalls breit. Vielleicht sollten wir es einfach als eine Möglichkeit betrachten, das romantische Gefühl des Ruinentourismus nachzuvollziehen, die Lust am entdecken alter Steine, das innerliche Gefühl der Vanitas und somit ein gutes Gegenbild zur Immobilienspekulation in Porto zu sehen.

Zu meinem Geburtstag gibt es Kaffee im Restaurant Praia da Luz in Porto bei kuratierter Musik für Atlantikwellen, die beats sind fast auf die Wellenfrequenz abgestimmt. Abends werfe ich mir wie Aschenputtel das neue Kleid über und fühle mich wunderschön, wir essen in der Nähe des Hafens im Armazen de Pesce, beides gute Orte.

Braga

Mit dem Vorortzug nach Braga. Nach Fatima beherbergt Braga das wichtigste Marienheiligtum Portugals. Erhebung zum Erzbistum und wichtige Klöster, darunter auch eine Niederlassung der Zisterzienser aus Cluny hinterließen eine Vielzahl prächtiger Kirchen, Klostergebäude. Die Stadt ist seit langem wohlhabend und zeigt dies durch prächtige Stadtpalais aus Barock und Renaissance. Es ist Gründonnerstag und in den verkehrsberuhigten Straßen der Innenstadt erklingen überall zentral gesteuert Mönchsgesänge, in der Kathedrale ist stündlich Messe. Man wird richtig eingestimmt auf die Prozession, die sich gegen halb zehn abends formiert, zuerst die Büßer in dunklen Kutten und Kapuzen, die den Kopf bedecken und Augenlöcher haben, dann die Allegorien der wichtigsten Tugenden, der Märtyrer, die Leidensstationen, eine großes Christusstatue, Repräsentationen der wichtigsten katholischen Aufgaben (lehre die Unwissenden, speise die Armen, kleide die Bedürftigen, etc) schließlich die Funktionsträger der Kirche mit der allerheiligsten Monstranz in Kreuzform, gefolgt von Ehrenbürger/Bürgermeister unter Polizeischutz: eine lebendige Darstellung der zentralen Inhalte und Aufgaben des katholischen Glaubens. Die Prozession wird eingeleitet von einer Trauermusik der Kapelle und ausgeleitet von Trauermusik, die Zuschauer schweigen, die Teilnehmer der Prozession sind still und sehr konzentriert, alle, auch die Kleinen Engelchen, als die die Kinder der Darsteller mitlaufen, sind sich bewußt, dass sie eine heilige Geschichte darstellen und einen liturgischen Dienst erfüllen. Die Stille, die dumpfen Paukenschläge, harten Stockeinschläge der Pilgerstäbe, und getragenen Begräbnisbläsersätze sind sehr beeindruckend.

Karfreitag ist hier Feiertag, allerdings sind Lebensmittel und Restaurants offen. Die jüngere Bevölkerung genießt den freien Tag und die Sonne, man muss sich am Hafen durch die Radfahrer, Scooterfahrer Läufer und Walker schlängeln, einer hat ein elektrisches Chopperfahrrad, ein anderer hat den Blaster im Rucksack. In Leixoes kaufen wir den letzten dort erhältlichen Ruckdämpfer um uns auf die Wetterfront vorzubereiten, nördlich davon ist ein ewiger breiter Sandstrand, weiter südlich bei der Mündung wird es mondän, aus einem Restaurant klingt cooler live Ambient Jazz, die jeunesse doree fläzt sich in Loungesesseln mit Cocktails, die im Gegenlicht in kunterbunten Farben leuchten, A vida e boa.

Porto

Die Ufer sind steil an der Mündung, die Häuser würfeln sich übereinander, bunt angemalt, viele mit Kacheln verziert, in allen vorstellbaren Formen der Alterung: Ganz neue Blöcke, Kernsanierte Bauten mit guten Fenstern, Hausscheiben, in denen das Erdgeschoss gut hergerichtet ist für einen Laden oder ein Café, oder in denen die Haustür mit Zahlenschloss auf Vermietungsaktivitäten hinweist, manchmal ist ein Dachgeschoss auf ein altes Haus aufgesetzt, manche Häuser sind verrammelt und beschmiert, bei einigen ist die Fassade stabilisiert und wartet auf weiteres. Vielleicht haben so die Reisenden im 19. Jahrhundert Italien gesehen: Die Erinnerung an gloriose Vergangenheit, hier in Porto der Reichtum aus den Kolonien, an die Machtentfaltung der Kirche, auf die dann aber eine Auflösung der Strukturen folgte, der Wildwuchs an Bauten und steinernen Lebensträumen, Jetzt die Gewinnillusionen des Immobilienhandels, überall steht „vende“ und eine Telefonnummer, jeder will einen Claim anbieten, man sichert sich Areale für Condominiums oder andere Projekte. Und wie in Brasilien (eher wird es umgekehrt sein, in Brasilien hat es sich so wie in Portugal entwickelt, aber wir haben es in anderer Reihenfolge gesehen) steht ein neues Architektenhaus mit tueren Autos in der Garage neben einem mickerigen alten Haus neben einem mittleren Haus vor einem ultraneuen Block. Anders als in Spanien haben wir aber nicht so viele Eckkneipen in den Wohnregionen gesehen. Hier am Hafen wurde ein Bereich der Fischer quasi erhalten, ein paar eingeschossige Straßenzüge sind wie vor hundert Jahren erhalten, nur einige haben neue Türen eingebaut. Die Frauen tragen viel Schwarz, karierte spitzenbesetzte Kittelschürzen und gestrickte kleine Capes um die Schultern. Es gibt ein Waschhaus mit Trockenleinen, jeden Tag wird dort Wäsche gewaschen. Wir warten auf den Bus, die Frauen machen sich über die Busse lustig,Pünktlichkeit, die Fahrer, ich verstehe fast nichts, aber man lacht laut, ein Wort gibt das andere, es ist ein Waschweiber-Rap.

Wir haben das moderne Museum Serralves gesehen, sehr schöner Bau in einem wunderbaren, riesigen Garten. Der nieselige Dauerregen zeichnet die Konturen der Baummassen weich, verflacht die Ansichten in den Sichtachsen, aber dafür sind die Kamelien wundervoll, riesige volle Blüten in allen Rosaschattierungen, ich kann Mimosen riechen und gute Frühjahrserde. In der Ausstellung gibt es eine Abteilung für Manuel de Oliveira, den großen Kinomacher, der von Stummfilm bis zu den elektronischen Bildmedien alle Materialen genutzt hat. Man sieht Filmszenen, Textglossen, seine tiefe Verwobenheit in die bildliche und textuelle Kultur eines Jahrhunderts. In den gezeigten Filmsequenzen werden existenzielle Momente geschaffen, in denen die Protagonisten die großen Fragen des Lebens in ungeheurer Spannung zur Sprache bringen, griechischen Tragödien gleich.

Im Bilderteil wird eine kleine Arbeit gezeigt, die ein guter Kommentar dazu ist: Zwei Projektoren werfen ihre Bilder teilweise übereinander, die Bildobjekte und die Projektionslinsen sind durch Motoren rotierend bewegt. Links wird eine Art Uhrwerk abgebildet, rechts eine Scheibe eines Rauchachat-Druse mit Bergkristallen an der Drusenwand. Wenn man das Uhrwerk von der Seite betrachtet, ist alles ganz einfach, man erkennt die Bauelemente und ihre Montage. Auf der Projektionsebene sieht man wundersame Strukturen, Linien, Zacken, Balken- ich wäre nie imstande, das Uhrwerk zu rekonstruieren und ihre Verschmelzung mit den biomorphen Elementen des Minerals in zwei Faktoren zu zerlegen. Die Arbeit ist „Cinema“ benannt- ich hätte auch Erkenntnis als Titel gut akzeptieren können. Eine weitere Arbeit in der Ausstellung hat es mir angetan, von Christine Kubisch das „Gewächshaus“, Kabel hängen von Bambusstangen, man bekommt kabellose Kopfhörer, mit denen man durch die Drahtlianen bewegen kann. Man hört, abhängig vom Ort an dem man ist, eine Mischung aus Vogelstimmen, Wassergeräuschen und elektronischem Klangstrukturen- sehr interessant.

Wir holen unsere Tochter in Lissabon ab, die Zugfahrt zeigt einen guten Querschnitt von Portugal: Atlantikküste, bergiges Naturschutzgebiet, Weinfelder und Reisanbauflächen, Industrievororte. In Porto haben wir dann die Livraria-Lello-Experience: Man kauft Tickets für einen Tag, steht lange in einer bunten Schlange an, einige Jugendliche haben Harry Potter Outfits und Zauberstäbe dabei, endlich kommen wir in die Buchhandlung selbst. Einige Wände sind verglaste Regale mit antiquarischen Büchern und Gipsbüsten der zugeordneten Schriftsteller, wenn man alles andere ausblendet, eine wundersame Art, Bücher aufzubewahren. Die Schnitzereien sind prächtig flamboyant. Die Verkaufsregale sind stapelweise gefüllt, Lektüre für beflissene Eltern, nach Nobeltreisträger, Portugals Meister und englisch sortiert. Im Keller ist das eigentliche Antiquariat, dafür muss man eine Bewerbung schreiben, die geprüft wird und bei Erfolg kann man einen Termin vereinbaren. Lt Website ist aktuell eine Erstausgabe von Moby Dick aus dem Besitz von Jim Morrison unter den Schätzen, wie an vielen Stellen hier liegen die Extreme dicht beieinander. Ich spreche einen Mitarbeiter an, er lässt auch durchblicken, dass es für ihn als ausgebildeten Buchhändler keine tolle Sache ist, die Besucher zu ermahnen, die Maske wiederaufzusetzen und die Selfie-Schlangen zu organisieren. Um Bücher zu kaufen schlägt er eine Buchhandlung ein paar Schritte weiter vor…Ich glaube, die enormen Einnahmen aus dem Ticketverkauf kommen der Finanzierung einiger Projekte zugute wie der Übernahme eines Verlagshauses aus Coimbra.

Eine wunderbare Ecke ist der Jardim des Virtudes, hier sammeln sich Junge Leute, sitzen auf dem Gras, genießen die Aussicht, trinken ein Glas Wein dazu, eine Ecke wie der Mirador in Lissabon:

Marina Douro Afurada

Nächtliche Gewalt
Irgendwo bei Island nordwestlich von Porto liegt ein mächtiges Tief, hier ist es für Schwell aus westlichen Richtungen und Südwind verantwortlich, morgen sollen es 3,5m werden. Der Douro, ehemals ein ungebärdiger Fluss aus dem bergigen Inneren des Landes kommend, mündet bei Porto in den Atlantik. In der Marina in der Flussmündung sieht man keine Welle, aber Wirbellinien im Wasser. Wir aktivieren alle Ruckdämpfer, die wir haben und legen ein kompliziertes Zickzag von Haltelinien um das Boot herum. Alle Fender werden ausgebracht. Die anderen Boote tanzen auch, der Steg zappelt so, dass ich auf dem abendlichen Gang zu den Sanitäranlagen ins Stolpern komme.
Ein Geschepper erfüllt den Hafen, Schwellbleche lärmen, der Steg quietscht.
Im Bett ist es ruhiger, so dass das Kopfkino arbeitet. Im Grunde liegt man auf einer weichen Matratze, die gute Dauendecke hält warm. Aber es fühlt sich an wie in einem Überraschungsei, das von eine gewalttätigen Gang herumgekickt wird: Man zuckt zusammen wie unter Schlägen in den Rücken, wenn das Boot mit aller Wucht in die Leinen ruckt, das Knarren der Leinen an den Klampen klingt wie das Ausrenken eines Schultergelenks. Eine Zeitlang wird das Boot gelangweilt durch die Gegend gekickt, dann kommt neue Lust auf Gewalt auf, ein Knie in den Magen und ein paar Tritte in den Rücken, es klingt wie wenn der Zahnarzt die Knochen aufbohrt, dazu das gemütliche Geknautsche der Fender wie ein altes Plastiksofa und das Quitetschen der Bodenbretter, die sich gegeneinander reiben.
Montag nachmittag soll es anfangen, besser zu werden, aber es wird wahrscheinlich bis Mittwoch unruhig bleiben.
Am Morgen beschließen wir, dass ich alleine nach Lissabon fahre, um Hannah abzuholen, Jürgen bleibt beim Boot, damit er schnell was machen kann wenn etwas passiert. Aber im Shop sind alle Ruckdämpfer ausverkauft.

Good Bye Spain, hello Portugal

Wir bleiben nicht lange in Baiona obwohl der Yacht Club sehr einladend war. Der Wind wird auf Süd drehen und vorher möchten wir noch weiter genau Richtung Süden.

Am frühen Morgen noch in der Dunkelheit und Morgenkälte verlassen wir den Hafen. Bald schimmert über den Bergrücken das erste Morgenlicht. Wie angekündigt läuft ersteinmal die Maschine, das Meer nur leicht gewellt. Nach 2 Stunden der erste Versuch zu segeln aber nach einer Stunde wieder Segel bergen. Dann, pünktlich wie vorhergesagt, kommt gegen Mittag der Wind. Achterlicher Wind, 4-5Bft, nur mit dem Groß können wir fast den Kurs anliegen. Schönes Segeln, bald haben wir Spanien verlassen und fahren entlang der Portugiesischen Küste. Kleine Orte trotzdem mit Hochhäusern erinnern uns an Brasilien, Santos, Guaruja. Wir passieren Leixoes mit seinem Ölhafen und Industrieanlagen und segeln bis vor die Mündung des Douro. Die gefürchteten Wellen, die zu häufigen Sperrungen der Flusseinfahrt führen, sind nicht zu spüren. Nach 1,5sm flussaufwärts erreichen wir die Douro-Marina gegenüber von Porto.

Der Marineiro, über Funk informiert, erwartet und mit dem Schlauchboot und führt uns zum Liegeplatz. Beim Anlegen dann der Schreckmoment – nachdem der Marineiro die Vorleine belegt hat, will Ulrike auf den Fingerpontoon übersteigen und die Heckleine festmachen. Ein lauter Platsch und Knall – beim Übersteigen ist Ulrike auf einer rumliegenden Leine ausgerutscht und zwischen Boot und Finger ins Wasser gerutscht. Die Schwimmweste hat sofort ausgelöst, der Marineiro sofort da und hilft ihr aus dem Wasser während ich das Boot abhalte. Zum Glück nichts Schlimmes passiert – großer Schreck und kaltes Wasser. Nach dem Duschen geht es schon besser.

Wir sind in Porto – Besuchsprogramm kann beginnen.

Baiona


ein langer Segeltag, die Liste der Sachen, die ich gegen die Kälte übereinandergezogen habe, würde den Rahmen dieses Blogs sprengen. Jürgen wiederholt mantrahaft die Sätze aus dem Pilot, dass nach der Umrundung des Cabo Fisterre die Wellen niedriger werden, das Klimer milder und die Crew wieder lächelt. Der Wind aber frischt gegen Ende hin recht deutlich auf, ich war froh, dass ein Marinero half die Leinen zu befestigen. Kalte feuchte Laken, sternklarer Himmel,aber der Morgen zeigt ein wunderbares Rund verschatteter Berge, Häuser wie frisches Geröll, der Himmel hart blau, streng kalt durchweht. Warum trifft mich diese Schönheit so unvermittelt, weil es einen Fond von Bildern gibt, in dessen Grund alle diese Bilder von Buchten liegen und deren Leibhaftigkeit der Existenz dann einfach freut? Um die Mittagsstunde (da ist hier ja Siesta) ist die Altstadt leer, fehlen ein paar Kühe, die man über die Straßen treibt, man wäre im Mittelalter. Vor den Autobahneinfahrten wird hier immerhin noch darauf hingewiesen, dass die Benutzung durch Pferdegespanne nicht zulässig ist.
Milde ist es erst so ab 15:00 wenn man eine windgeschützte Ecke findet, aber besser als die Bilder von Osterglocken im Schnee aus der Heimat ist es allemal. Da, wo der Atlantik das Wasser austauscht in Ebbe und Flut ist es unglaublich klar, mit der Spiegelung des blauen Himmels könnte man so manchen Strand als Karibik ausgeben, nur die Wassertemperaturen entlarven den Fake.
Busausflug nach Vigo, 280.000 Einwohner, sie behaupten, im Einzugsgebiet wohnen 500.000, wer weiß, wie „Einzugsgebiet“ definiert ist- Peugeot-Citroen hat einen Produktionsstandort hier, Werftindustrie freut sich auf die erwarteten Rüstungsaufträge, Fischereinindustrie und Handelshafen: Die Wirtschaft scheint zu brummen und auf den vielen Baustellen lärmen die Presslufthämmer. Vom Kastell hat man einen wunderbaren Blick über die Bucht, die Erläuterungstafeln weisen eine Kette von Eisenzeitlichen Siedlungen aus. Ob für die damaligen Siedler, Fischer und Händler der Blick nicht nur strategisch wichtig war, sondern auch schön?

Muxia/Mugia-Santiago do Campostela

Muxia (Mugia)

Fast die Hälfte der Strecke von A Coruna können wir gut segeln, leider liegt die Küsten meistenteils im Dunst, aber man könnte sich vorstellen, dass dahinter Cornwall liegt.

Die Marina ist gut geschützt durch neue Molen, die Stege neu. Die Sanitäranlagen haben einen distressed look, wir fragen uns, ob es absichtlich ist um Surfer-Atmosphäre aufkommen zu lassen oder ob es einfach noch nicht fertig ist. Ein Boot mit irischem Namen ist das Basislager eines Tauchers, das Wasser selbst im Hafenbecken ist unglaublich klar, aber 13°- und die Luft ist nicht wärmer. Ein abendlicher Gang durch das Örtchen lässt de Chirico-Gefühle aufkommen, leere Gassen, verwinkelte Häuser, keine Blickachsen, kein Licht in den Fenstern, kein Rauch aus dem (seltenen) Schornsteinen. Lands End, obwohl wir noch nicht an Finis terrae sind. Am nächsten Morgen gehen wir zur Kapelle, die Kilometer 0 des galizischen Teil des Jakobswegs markiert, das Meer ist bewegt, ein Pilger bittet mich um ein Photo und erzählt, dass er dann nach Fisterre wandert und dort alle Sünden ins Meer verschwinden. Bei dem blankgewehten und saubergeregneten Himmel werden sie bestimmt blitzschnell verschwinden. Schöne Vorstellung, erklärt auch die große Anzahl der Herbergen, die wir sehen, und in der Bar am Vormittag sitzen schon ein versprengte Pilger mit festem Schukwerk Rucksäcke zwischen den Füßen und Outdoorjacken. Der Ort könnte als aktuelle Version eines Dorfes gelten, in dem es genau das gibt, was man für den Inbegriff des Dorfes braucht: Schenke, Kaufmann, Metzger, Fischhändler, Wirt, eine reinigende Schlichtheit am Ende eines langen Weges. Vielleicht könnte der Eindruck auch kippen: die Schule ist ein Betonhof, ein, zwei Gassen sehen aus wie verunglückte Nachbauten eines englischen Reihenhausprospektes, in der Tür wird getrascht, ein Pensionistenheim, verbitterte Alte laufen einsam um den Hafen, im Hafen ein paar kauzige Drop-outs?

Wir können uns ein Auto mieten und fahren nach Santiago de Compostela, es ist klar und bitter kalt, das Licht fällt scharf an den Granitskulpturen herab, die Kathedrale hat prächtigste filigrane Gitter und Balustraden aus dem harten Stein, innen im Altarraum ein barocker goldener Weinberg als Struktur für riesige Baldachinträger, eine große Maschine zum Schwenken eines Weihrauchfasses. Ein beeindruckender wuchtiger Bau, umgeben von Klöstern und Kirchen aller wichtigen Orden, es ergibt sich eine dichte Altstadt, hohe steinerne Wände, manchmal ein wenig abweisend, ein sehr effektiver Wallfahrtsbetrieb. Der große Markt in seiner soliden Markthalle ist voll mit allem, was Spanien an schönem Obst bietet. Draußen vor der Stadt sehen wir das moderne Kulturzentrum, ich vermute, dass dort auch die Besucherbusse parken.

Eigentlich wollten wir dann als nächstes Fisterre anfahren, aber in dem Gewirr kleinster Strassen, die rauf und runter gehen, verlieren wir uns etwas. Einmal, uns hat es nach weit oben geführt, sehen wir die Halbinsel Fisterre und daneben blauschimmernde Buchten. Wir sehen uralte Brücken, unzählige Horreros (Getreidespeicher, die auf Stelzen stehen, vorne auf dem Giebel ein Kreuz, aber man kann ja nicht wissen, daher hinten eine heidnische Pyramide). Der Wald ist Nutzwald, häufig Eukalyptusplantagen der unterschiedlichsten Jahrgänge, Schneisen zur Waldbrandbekämpfung, Windräder und mitten im Nirvana eine Hüttenanlage für Legierungen. Ganz alte Feldsteinhäuser und Steinmauern, wie in Irland, neuere schlichte Bauten mit bunten Fassaden, auch in kleinen Dörfern fünfstöckige Wohnblocks, so mancher gescheiterter Immobilientraum. Immer wieder wunderbar weite Blicke, immer wieder unglaublich schöne Buchten – Schnorcheln muss hier ein Traum sein, wenn nur das Wasser nicht soooo kalt wäre.