Porto

Die Ufer sind steil an der Mündung, die Häuser würfeln sich übereinander, bunt angemalt, viele mit Kacheln verziert, in allen vorstellbaren Formen der Alterung: Ganz neue Blöcke, Kernsanierte Bauten mit guten Fenstern, Hausscheiben, in denen das Erdgeschoss gut hergerichtet ist für einen Laden oder ein Café, oder in denen die Haustür mit Zahlenschloss auf Vermietungsaktivitäten hinweist, manchmal ist ein Dachgeschoss auf ein altes Haus aufgesetzt, manche Häuser sind verrammelt und beschmiert, bei einigen ist die Fassade stabilisiert und wartet auf weiteres. Vielleicht haben so die Reisenden im 19. Jahrhundert Italien gesehen: Die Erinnerung an gloriose Vergangenheit, hier in Porto der Reichtum aus den Kolonien, an die Machtentfaltung der Kirche, auf die dann aber eine Auflösung der Strukturen folgte, der Wildwuchs an Bauten und steinernen Lebensträumen, Jetzt die Gewinnillusionen des Immobilienhandels, überall steht „vende“ und eine Telefonnummer, jeder will einen Claim anbieten, man sichert sich Areale für Condominiums oder andere Projekte. Und wie in Brasilien (eher wird es umgekehrt sein, in Brasilien hat es sich so wie in Portugal entwickelt, aber wir haben es in anderer Reihenfolge gesehen) steht ein neues Architektenhaus mit tueren Autos in der Garage neben einem mickerigen alten Haus neben einem mittleren Haus vor einem ultraneuen Block. Anders als in Spanien haben wir aber nicht so viele Eckkneipen in den Wohnregionen gesehen. Hier am Hafen wurde ein Bereich der Fischer quasi erhalten, ein paar eingeschossige Straßenzüge sind wie vor hundert Jahren erhalten, nur einige haben neue Türen eingebaut. Die Frauen tragen viel Schwarz, karierte spitzenbesetzte Kittelschürzen und gestrickte kleine Capes um die Schultern. Es gibt ein Waschhaus mit Trockenleinen, jeden Tag wird dort Wäsche gewaschen. Wir warten auf den Bus, die Frauen machen sich über die Busse lustig,Pünktlichkeit, die Fahrer, ich verstehe fast nichts, aber man lacht laut, ein Wort gibt das andere, es ist ein Waschweiber-Rap.

Wir haben das moderne Museum Serralves gesehen, sehr schöner Bau in einem wunderbaren, riesigen Garten. Der nieselige Dauerregen zeichnet die Konturen der Baummassen weich, verflacht die Ansichten in den Sichtachsen, aber dafür sind die Kamelien wundervoll, riesige volle Blüten in allen Rosaschattierungen, ich kann Mimosen riechen und gute Frühjahrserde. In der Ausstellung gibt es eine Abteilung für Manuel de Oliveira, den großen Kinomacher, der von Stummfilm bis zu den elektronischen Bildmedien alle Materialen genutzt hat. Man sieht Filmszenen, Textglossen, seine tiefe Verwobenheit in die bildliche und textuelle Kultur eines Jahrhunderts. In den gezeigten Filmsequenzen werden existenzielle Momente geschaffen, in denen die Protagonisten die großen Fragen des Lebens in ungeheurer Spannung zur Sprache bringen, griechischen Tragödien gleich.

Im Bilderteil wird eine kleine Arbeit gezeigt, die ein guter Kommentar dazu ist: Zwei Projektoren werfen ihre Bilder teilweise übereinander, die Bildobjekte und die Projektionslinsen sind durch Motoren rotierend bewegt. Links wird eine Art Uhrwerk abgebildet, rechts eine Scheibe eines Rauchachat-Druse mit Bergkristallen an der Drusenwand. Wenn man das Uhrwerk von der Seite betrachtet, ist alles ganz einfach, man erkennt die Bauelemente und ihre Montage. Auf der Projektionsebene sieht man wundersame Strukturen, Linien, Zacken, Balken- ich wäre nie imstande, das Uhrwerk zu rekonstruieren und ihre Verschmelzung mit den biomorphen Elementen des Minerals in zwei Faktoren zu zerlegen. Die Arbeit ist „Cinema“ benannt- ich hätte auch Erkenntnis als Titel gut akzeptieren können. Eine weitere Arbeit in der Ausstellung hat es mir angetan, von Christine Kubisch das „Gewächshaus“, Kabel hängen von Bambusstangen, man bekommt kabellose Kopfhörer, mit denen man durch die Drahtlianen bewegen kann. Man hört, abhängig vom Ort an dem man ist, eine Mischung aus Vogelstimmen, Wassergeräuschen und elektronischem Klangstrukturen- sehr interessant.

Wir holen unsere Tochter in Lissabon ab, die Zugfahrt zeigt einen guten Querschnitt von Portugal: Atlantikküste, bergiges Naturschutzgebiet, Weinfelder und Reisanbauflächen, Industrievororte. In Porto haben wir dann die Livraria-Lello-Experience: Man kauft Tickets für einen Tag, steht lange in einer bunten Schlange an, einige Jugendliche haben Harry Potter Outfits und Zauberstäbe dabei, endlich kommen wir in die Buchhandlung selbst. Einige Wände sind verglaste Regale mit antiquarischen Büchern und Gipsbüsten der zugeordneten Schriftsteller, wenn man alles andere ausblendet, eine wundersame Art, Bücher aufzubewahren. Die Schnitzereien sind prächtig flamboyant. Die Verkaufsregale sind stapelweise gefüllt, Lektüre für beflissene Eltern, nach Nobeltreisträger, Portugals Meister und englisch sortiert. Im Keller ist das eigentliche Antiquariat, dafür muss man eine Bewerbung schreiben, die geprüft wird und bei Erfolg kann man einen Termin vereinbaren. Lt Website ist aktuell eine Erstausgabe von Moby Dick aus dem Besitz von Jim Morrison unter den Schätzen, wie an vielen Stellen hier liegen die Extreme dicht beieinander. Ich spreche einen Mitarbeiter an, er lässt auch durchblicken, dass es für ihn als ausgebildeten Buchhändler keine tolle Sache ist, die Besucher zu ermahnen, die Maske wiederaufzusetzen und die Selfie-Schlangen zu organisieren. Um Bücher zu kaufen schlägt er eine Buchhandlung ein paar Schritte weiter vor…Ich glaube, die enormen Einnahmen aus dem Ticketverkauf kommen der Finanzierung einiger Projekte zugute wie der Übernahme eines Verlagshauses aus Coimbra.

Eine wunderbare Ecke ist der Jardim des Virtudes, hier sammeln sich Junge Leute, sitzen auf dem Gras, genießen die Aussicht, trinken ein Glas Wein dazu, eine Ecke wie der Mirador in Lissabon:

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