Von Luctody geht es im gemütlichen Tempo nach Lorient wo wir in der Marina Kernevel festmachen. Eine der zahlreichen Marinas in Lorient und nähester Umgebung. Die angekündigte Kaltfront kommt in der Nacht mit dem angekündigten Wind bis 7/8 BFT, ist aber auch schnell durch.
In Lorient dreht sich alles ums Segeln. Schon auf der Fahrt überholen uns 2 Pen Duick Yachten. Diese hatten wir schon in Cherbourg und wieder in Brest gesehen. Diese Yachten – es sind 5 aktuell – gehören zum Verein Eric Taberly, einem renomierten Hochseesegler (Nationalheld), dem heute in der Cite de la Voile Eric Taberly ein gut gemachtes Museum gewidmet ist. In der Nachbarschaft die alten Bunker hdeute teilweise als Konzertsaal genutzt. Das U-Boot kann besichtigt werden. Gleich dran ist Lorient LaBase, eine Marina für die Profisegler, von denen einige hier auch ihre Hallen haben. Hier liegen die Rennmaschinen der Vendee Globe und anderer Regatten – man konnte ungehindert am Steg daran vorbeilaufen. Heute Morgen haben wir dann LinkedOut und Corum auch zum Testen auslaufen sehen – schon interessant dies aus der Nähe zu sehen.
Am Abend dann passiert der Kreuzfahrer unseren Liegeplatz in knapper Entfernung. Frachter kommen und gehen, auf der Mündung ist ordentlch Betrieb, da wird auch schon mal kräfig in Horn gestoßen um zu Warnen.
Port Louis mit der Zitadelle wirkt etwas ruhig nur die Schulkinder der verschiedenen Schulen bringen leben in den Vorort.
Lamgsam verlassen wir jetzt die Bretagne, morgen geht es dann weiter Richtung Süden. An der Wettervorhersage merkt man – das Wetter wird instabiler.
Roscoff Aber Wrac´h: Früh in der Morgennässe aufbrechen, mit der Strömung. Wieder überqueren wir unterseeische Riffe, die sich an der Oberfläche durch deutliche Verwirbelungen und kabbelige Wellen abbilden. Die Einfahrt nach Aber Wrac´h führt durch dunkle Felsspitzen, an denen sich die Dünung bricht. Drinnen ein beschaulicher Ort, eine Abbaye mit Waschplatz für die Leinenwebereien. Beim Aufbruch m Morgengrauen sehen wir noch den Leuchtturm auf der Ile de Vierge und gegenüber den Mon, unter tief hängenden Wolken fällt dramatisch das Morgenlicht aif den riesigen Leichtturm- ein Votivbild. Um die Ecke der Bretagne und in den Chenal du Four, hier liegt das Übungsgebiet des SKS- Kartenaufgaben, weil die Tidenunterschiede und Strömungen so groß sind, dass das Rechnen sich lohnt und Werte im Bereich von 1 bis 10 vorkommen. Wir schweben auf Dünung bei null Wind, eine Delfingruppe begegnet unserem Motorentuckern neugierig. Beim Phare St Mathieu haben wir den Ärmelkanal verlassen. Im Hafen von Camaet begüßt uns wieder einmal ein Seehund, seitdem denke ich, dass er brennende Augebekommt, wenn ich zuviel Spülmittel beim Abwasch verwende. Camaret sur Mer ist Wandertreffpunkt für die Herbstsaison ausnutzenden Senioren (GR 34), die Promenade ist eine pittoreske Front von Pubs, Restaurants und Brasserien, viele machen Urlaub oder haben schon geschlossen. Die Häuschen dahinter bilden enge Gassen, anscheinend können Künstler hier den Sommer günstig wohnen und ihre Arbeiten ausstellen. Wir fahren mit dem Bus im Morgengrauen nach Brest, es ist neblig. Brest ist dominiert von den Marinehäfen für Handels und Kriegsmarine, Kasernengebiete umrunden die Stadt, die Häfen sind mit Zäunen abgeriegelt. Aktuell tobt in den Zeitungen die Empörung über den geplatzten Vertrag mit Australien bezüglich der Lieferung von U-Booten im Wert von 54 Mrd Euro, Frankreich hatte sich eine strategische Einflussnahme im australpazifischen Raum erhofft. Viele, die den Deal vorbereitet haben, werden hier leben und arbeiten. Auf den Flächen zur freien Meinungsäußerung (Plakatierflächen) viele Zettel mit streng sozialistischen Parolen. Die Ateliers de Capucins, den großen Hallen, in denen im 19.Jahr am Hafen in Maschinenfabriken gearbeitet wurde, befinden sich in Umgestaltung, aktuell fahren Leute Inline-Skates auf den großen polierten Flächen, Mädels üben Dance Moves, es können Workshops abehlaten werden, ein open space im Umbruch. Macron hat eine große Initiative zur Cybersicherheit angekündigt, hier hängen Slogans, die entrepreurship und Gründung von Tech-Start-ups ermutigen. Im Musée des Beaux Arts ist die Billet-Maschine kaputt, so erhalten wir eine auf Papier ausgedruckte und dann sorgfältig für uns mit der Schere ausgeschnittene Eintrittskarte die Ausstellung zeigt lokale Kunst.. Auf der Fahrt zurück mit dem Bus kommen wir an den Bunkern für die französischen Atom-U-Boote vorbei, riesige Hallen ohne Fenster, sehr solide Sicherheitszäune mit Wachtürmen, alles auf google earth verpixelt.
Nach Loctudy müssen wir motoren,- an der Pointe du Raz vorbei, Trotz der Windstille erreichen wir 10 kn und können die Strudel schön als rosenartige Wasserbilder sehen, einmal lösen sich aus solch einer Rose erst dreieckige Strukturen und dann sehen wir Weißflankendelfine sich herauslösen. Loctudy liegt wie in einer Lagune, die Odet mündet hier nach letzten Mäandern, die von großen Herrenhäusern gesäumt sind, Reichtum, vermutlich aus Konservenfabriken, mit großen alten Zedern. Vor dem Hafen große Crevettenfarmen, der Ort zeigt, dass er sich entwickelt, im Oktober soll es eine Bürgerbeteiligung geben.
Wir tanken noch einmal zollfrei und beginnen die Fahrt in Richtung Roscoff in schönster Abendstimmung bei leichtem Wind, sonnig liegt das Meer. Dünung trägt uns sanft und dank Tidenstrom kommen wir auch mit wenig Wind elegant in die Nacht. Der Mond begleitet uns bis kurz nach Mitternacht, da der Herbst naht, bleibt es nach Monduntergang noch lange völlig dunkel. Die Sonne kämpft sich gegen acht durch die Wolken. Zum ersten Mal erlebe ich Atlantik-Dünung, in weiten Schwüngen hebt und senkt sich das Meer. In Roscoff empfängt uns ein riesiger weiter Himmel, mit dem speziellen Licht und der Transparenz eines Herbsttages, der morgens alle Feuchtigkeit mit dem Tau der Erde anheimgegeben hat. Der Ort selbst ist sehr bretonisch, graue Feldsteinhäuser mit Fensterfassungen aus großen Granitecken, Creperien, Fruits de Mer, Sehr nett und proper, ein alter Hafen (fällt trocken), einem typischen enclos parois, einem Kirchhof, der mit der Kirche auch ein Beinhaus und den Kirchgarten umfasst. Die neue Marina ist schick, mit Brasserie und Restaurant. Ein paar Schritte weiter ist ein exotischer Garten mit Palmen. Eine Gruppe von Jungs hängt herum, ich denke Illegale, sie schnorren eine Dusche und einen warmen Platz in den Sanitäranlagen, laden die Handies auf, aber sie sind extrem sauber und unauffällig. Wir fahren mit dem Bus nach Morlaix, einer ehemals wichtigen Hafenstadt, deren Blütezeit im 16. Jahrhundert schöne Häuserfronten und Plätze mit Fachwerkhäusern hinterlassen hat. Der Hafen versandete, im 19. Jahrhundert wurde ein Aquädukt quer durch die Stadt für die Eisenbahnstrecke Paris-Brest – heute undenkbar, aber mir imponiert der damalige Glaube an die Zukunft. Lange, bis 2004 war eine große Tabakfabrik des Staatlichen Tabakmonopols in Morlaix, man merkt, dass die Stadt unter der Schließung gelitten hat, aber es ist Markt und die Cafés sind belebt, es gibt junge Läden und Initiativen, vor der Stadt fährt der Bus durch eine Reihe von großen Läden (Baumarkt, drive In, Maschinenparks), das findet in den engen Gässchen keinen Platz. Vor Jahrzehnten war ich in der Bretagne, ich erinnere mich an endlose Strecken auf kleinen Straßen, fast Hohlwegen, aufgescheuchte Elsterndruiden, jetzt fährt der Bus von Dorf zu Darf über eine vierspurige Nationalstraße- es geht also weiter. Vom Bus aus kann ich ab und an einen Blick über die Bucht von Morlaix erhaschen, auf dem Wasser Segler zwischen den steinigen Inseln, auf den Hügeln blauer Kohl, grüngraue Artischocken, dunkelgrüne Zwiebeln, dazwischen kunstvoll durchbrochene graugranitene Kirchturmspitzen.
Mit den Rädern fahren wir nach St. Pol de Leon, ein kleiner Ort mit zwei riesigen Kirchen, ehemaligen Klosterschulen und Ursulinenkloster.Zwar geht es rauf und runter, aber ich freue mich an dem Blick über die Bucht, den Geruch nach Nesseln und Kapuzinerkresse, den Feldern mit Kürbissen und zartlila Disteln. Es ist wirklich La France Profonde, das tiefe Frankreich mit seiner sonntäglichen Spaziergangsstimmung.
Der Schwell an der Mooringboje übt das Kochen mit Welle: ich muss das Kardangelenk nutzen. Am Morgen werden wir zum Testen abgeholt, sehr freundlich, aber das Traveltracking System ist e twas undurchschaubar. Die Proben sollen nach Guernsey geflogen werden, aber der Flieger sei die Tage unregelmäßig gewesen. Ich ahne Unbill, denn so richtig hatte ich mich nicht auf mehrere Tage Ankern vorbereitet. Das Einreiseformular fragt nach Frischprodukten (Kartoffeln, Fleisch, Fisch..) wir machen uns dran, die Kartoffeln zuzubereiten, damit wir sie nicht abgeben müssen. Was wir sehen können von der Bucht ist: Festungsanlagen aller Besatzungen die hier jemals waren, Engländer, Deutsche. Wir sehen Steinbruchstufen, über die etwas Gras gewachsen ist, ein paar Häuschen und warten. Vielleicht ist es in einer Karibikbucht ähnlich: man liegt im Grünen, man kann baden, man kann schauen, und manchmal gibt es einen Landepunkt oder auch nicht?
Wir warten, und warten, der Schwell ist erheblich, die Leinen ächzen. Immer wieder fragen wir nach- die Melodien der Telephonleitungen kann ich mitsummen, wir liegen drei Nächte vor Boje. Sonntag trinken wir den letzten Kaffee und, nachdem die Hotline sagt, dass die Ergebnisse nicht gefunden werden und wir möglicherweise den Prozess neu starten müssen, stimmen wir mit Port Control ab, dass wir das Boot nach Guernsey verlegen.
Wir motoren bei völliger Windstille also nach Guernsey und werden dort an den Quarantäneponton eskortiert. Montagmorgen, die Batterien nur noch halb voll, Supermarktlieferung an den Pier wäre erst am nächsten Tag möglich, Kaffee alle. Noch einmal rufen wir an und da, endlich die erlösende Nachricht, der Test ist negativ. Und wir haben noch mehr Glück, das Sill ist noch passierbar und wir können an die regulären Besucherstege in Viktoria Marina. Selten habe ich eine Steckdose so willkommen geheißen. Wir bekommen den Sticker „certified“ vom Hafenmeister vorbeigebracht.
Müll wegbringen können! Einkaufen! In der Cooperative sind die Regale voll, Jürgen zeigt mir dazu die Bilder aus den Nachrichten zu Britischen Supermärkten mit leeren Regalen- dort fehlen die truckdriver aus den osteuropäischen Ländern. Und dann Guernsey erkunden: Very British indeed, Linksverkehr, Pubs mit Hohlmaß Pint. Anders als in Helgoland wird die Steueroase nicht durch übermäßig viele Parfümerien und Wiskeygeschäfte sichtbar, sondern durch prächtige Gebäude von National Westminster Bank und Price Waterhouse Coopers. Es gibt einen Immobilienmarkt für lokale Bewohner und einen offenen Immobilienmarkt für die anderen, enterprise und entrepreneurvisa .. Wir fahren mit dem Bus einmal um die Insel herum: im Süden die edlen Häuser mit großen Grundstücken, im Westen mehr Badebuchten in denen unverdrossen Kaltwasserschwimmer unterwegs sind, Wassersport jeder Art und Ferienappartments, im Norden dann die Erdöltanks für die lokale Energieversorgung, ein vergessener Hochhofen. Früher haben die vielen Gewächshäuser die Tomaten- und Gemüseversorgung gesichert, nun sind viele im Verfall begriffen (man darf sie nicht niederreissen), die Tomaten kommen aus Malaga oder Neuseeland. Ob sich das wieder ändert nach dem Brexit? In der Kirche ist der Spendentopf durch ein digitales Bezahlgerät ersetzt. Wie organisiert sich so eine Insel mit 800 jähriger Selbstständigkeit und roundabout 70.000 Einwohnern im Staat und Steuerfreiheit für Unternehmen, keiner Mehrwertsteuer? Lohnsteuer wird einbehalten.
Nach genauer Planung zur Umgehung der berüchtigten Verwirbelungen am Kap La Hague sind wir bei schönen Wetter mit entsprechender Unterstützung des Tidenstroms in einer zügigen Fahrt – in der Spitze 10kn über Grund -in Alderney angekommen. Am Kap La Hague treffen 2 Tidenströme aufeinander, die zu heftigen Verwirbelungen und Wellen führen können. Insbesondere das sogenannte Alderney Race kann mit bis zu 10 Knoten laufen. Da sind schon ordentliche Wassermassen unterwegs.
Die notwendigen Formulare waren ausgefüllt, die Tests bezahlt. Aber schon beim Einlaufen in den Hafen kam durch Port Control die enttäuschende Nachricht, dass das Ergebnis der Test 2-3 Tage dauern könnte, das hatte auf den Web-Seiten anders geklungen, eher nach Stunden. Jetzt liegen wir zunächst an einer der reservierten Quarantänebojen und dürfen nicht an Land bis die Ergebnisse unserer Test da sind.
Da Alderney zu Guernsey gehört und morgen ein gutes Fenster zur Weiterreise ist, überlegen wir – in Absprache mit Border Control! – den Wartetag zu nutzen und nach Guernsey weiterzufahren. Noch hoffen wir aber, das Ergebnis Morgen früh zu bekommen und wenigstens etwas von Alderney zu sehen.
Intermezzo zu Hause die Fahrt mit dem Zug durch die Boucles de Seine war zauberhaft schön- welliges Land, schwelgerisch mit Grassamt ausstaffiert, die Seine oder ihre Seitenarme biegsam und elegant mäandernd, verschwenderische Faltungen, anmutig mit Pappeln und Weiden gesäumt, graziös und lieblich. Nach Tagen des metallisch schimmernden Wassers eine Verwunderung über diese Farbverschwendung und Formenfülle. Die Windstille der geschlossenen Räume wird wahrnehmbar. Großes Glück, die Kinder und Freunde wiederzusehen, gemeinsam zu speisen und miteinander zu sprechen. Zurück nach Le Havre, viel Sicherheitspersonal im Gare St. Lazare, Frankreich ist deutlich wachsam. Im Museum dÁrt Moderne eine Ausstellung von Philippe de Gobert, Eingeladen zur 500 Jahrfeier der Stadt hat er Le Havre besucht und im Nachgang in seinem Atelier in Brüssel lange gebastelt. Wie Thomas Demand baut er Modelle, die er dann photographiert, beide haben die Lust an der Bastelei und ihrem spielerischen Realismus.. Wie ein Kindergott baut er Szenarien auf, vollständig kontrolliert. Zum Ende ist es nicht das Modell, sondern die Photographie, die das Werk konstituiert. Beim Beobachten sucht das Auge, der interpretierende Verstand nach Inkonsistenzen, nach Eingriffen und Fakes. Kleine Steine haben andere Oberflächen als Große, der Karton der Modelle ist aber struktur-dimensional fast wie Beton, die Leere der Szenarien ist fremd.Als Museumsbesucher lieben wir diese Erkennbarkeit mit Differenzen, an denen wir Schaulust und Denklust empfinden, auch wenn das Modellieren von Realität hier die Ebene der Emotionen, der Menschlichkeit ganz ausblendet. Am Sonntag erleben wir die Fete de Mer, Gottesdienst mit den Honoratioren der Stadt, ordensgeschmückte Uniformen, scouts marins (See-Pfadfinder) oszilieren zwischen Fahnenträgerwürde und Kinderschabernack, Prozession und Segnung der Schiffe. Mit den Fahrrädern erkunden wir die Steilküste in Richtung Etretat, nach wenigen Metern blicken wir über die azurblaue Bucht.
Le Havre Cherbourg
Neben uns liegt jetzt eine Vindö 45, kommt von einem Pazific-Turn. Respekt! Wir legen nachmittags in der Abendbrise ab. Kurz nach Le Havre überqueren wir den 0° Längengrad. Ab jetzt sind wir im Westen. Der Channel Pilot referiert länglich über die historische Seeschlacht der Unterstützer von James II gegen die Holländer, bei der ein Teil der Flotte in den Stromschnellen bei Alderney, der andere an der Pointe Barfleur in der Brandung unterging, ich habe Respekt vor der Ecke. Damit es noch eindrucksvoller wird, ist Neumond, also nur Sternenlicht und Fischerscheinwerfer. Zwei Boote grasen die ganze Nacht mit einem Netz zwischen den Booten die Fischgründe um uns herum ab, ein paarmal klingt es so, als wären wir gegen Kanister oder sonstwas gerumst, was man so nimmt, um einen Fangkasten zu markieren. Die Abendbrise flaut ab, wir werden mit 5 Knoten vom Strom vorangetragen und alles ist stabil bis Cap Vico, von wo aus wir den Motor anmachen. Cherbourg empfängt uns mit bestem Sonnenschein, einer modernen, tip top angelegten und gepflegten Marina, einem sehr guten Willkommensinfopaket und normannischen Keksen. An der Promenade Palmen und Agaven- muss man eigentlich weiter nach Süden? Im Hafen tragen einige Boote Aufkleber und Wimpel vom Fastnet-Race 2021 (Hier war Mitte August Station der Etappe Cowe/Cherbourg) wahrscheinlich wird das Boot an der Stelle nie wieder geputzt. Der Marinehafen, so wie auch die große Wiederaufbereitungsanlage ein paar Kilometer weiter westlich sind bei Google verpixelt.
Von Boulogne Sur Mer waren wir enttäuscht. Der Ort war uninteressant und scheinbar im Verfall begriffen. So starteten wir mit stabilerem Wetter nach Dieppe. Noch immer kam der Wind mit 5 Windstärken eher achterlich denn raumschots und brachte uns zusammen mit dem Tidenstrom zwar eine schnelle Fahrt aber auch ein ziemliches Geschaukel. Immer wieder drehte das Boot über die Wellenkämme deutlich weg, der Autopilot war hart am Arbeiten. Wie schon am Vortag wurde es mit Kippen des Tidenstroms noch unangenehmer. Ulrike bekommt das garnicht, eine neue Erfahrung, die wir aus der Ostsee so nicht kennen.
Im Gegensatz zu Boulogne Sur Mer hat uns Dieppe positiv beeindruckt. Schon die Lage des Hafens wesentlich schöner, man sah auf eine nette Hafenpromenade mit Leben und Abends sogar Live-Musik vom Bistro organisiert. Da der Wind immer noch blies, beschlossen wir einen Tag zu bleiben. Für Samstag war die Prognose besser. Wir schauten uns Dieppe an.
Samstag dann 5:30 Uhr ablgegen nach LeHavre – es lebe die Tide. Ein Regenschauer ging nieder und wechelte zu Nieselregen. Ablegen im noch stockfinsteren Morgen. Port Control verabschiedet und in bestem Französisch – ich nahm es als Genehmigung zum Ausfahren. An-und Abmelden ist in den Industriehäfen durchaus üblich bis gefordert. Große Frachter, schnelle Fähren können schon Hektik bekommen wenn ein kleines Sportboot auf einmal um die Ecke kommt. Dank AIS wird man gesehen und dann auch schon mal ermahnt – auch heftiger.
Wieder eine schnelle Fahrt. Der Wind stand gut, der Tidenstrom schon zumindest die ersten 40sm. Nach 9 Stunde hatten wir gut 55sm abgesegelt und lagen im großzügigen Hafen von LeHavre auch wenn genau beim Anlegen die Nachmittgsbrise noch ein paar ordentliche Böen spendierte.
Le Havre wurde im Kern nach 1950 komplett neu aufgebaut – etwas Einheitsarchitektur aber recht gut gelöst. Die Stadt macht einen hellen Eindruck, das Leben pulsiert. Die Bevölkerung geniesst die schönen Restsommertage – Strandleben, Skateboardevent, es ist einiges los.
Wir machen jetzt eine kurzen Abstecher nach Hause. Beide Kinder sind in den Semesterferien da. Dann überlegen wir wie wir weiterfahren werden. Die Kanalinseln sind ggf wegen Coronbeschränkungen nicht anfahrbar. Die Erfahrung der letzten Wochen hat auch gezeigt, dass wir langsamer vorankommen – teilweise bedingt durch das Wetter aber auch, weil wir ja etwas sehen wollen.
Um 9:30 sind wir heute Morgen in den Ärmelkanal eingelaufen. Die Grenze zwischen Nordsee und Ärmelkanal wird definiert durch die Linie vom Walde Leuchtturm in Frankreich und Leaethercoat Point auf der Englischen Seite.
Um 7 Uhr waren wir in Dunkerque ausgelaufen und konnten wieder durch den Tidenstrom eine schnelle Fahrt machen, der Wind kam achterlich mit 5 BFT. Nachdem wir Calais passiert hatten kamen auch gut sichtbar die Felsen von Dover Querbalken.
Wenig später passierten wir zunächst Cap Blanc Nez und kurz darauf Cap Griz Net. Jetzt änderte sich die Küste – statt langgestreckten flachen Sandstränden erhoben sich die Küsten mit grünen Wiesen. Durch die Kursänderung ergab sich auch ein entspannteres Segeln mit Sonne am Himmel
Nachdem uns das Wetter wieder 2 Tage länger in Zeebrugge gehalten hatte als geplant – die Zeit haben wir gut für Besichtigungen genutzt, uA konnten wir dadurch auch noch nach Gent – hat der Wind heute auf Nord gedreht und bot damit die Chance weiter Richtung Süden zu kommen.
In der spätsommerlichen Dämmerung, die Tage werden deutlich kürzer, fuhren wir schliesslich bei 5-6 Windstärken aus dem Hafen. Der Tidenstrom schob uns die ersten Stunden ebenfalls, so dass wir nur mit gerefftem Großsegel mit 7-8 Knoten zügig voran kamen. Die Wellen gaben zwar durch den Winkel von hinten etwas Schaukel aber letztendlich war es in Ordnung.
10 Meilen vor Dunkerque (Dünkirchen) kippte wie erwartet der Strom und reduzierte die Geschwindigkeit auf 4-5 Knoten. Wir hatten aber das mitlaufende Wasser gut genutzt.
Nach weniger als 7 Stunden lagen wir mit 41sm gesegelt im Hafen von Dunkerque und haben damit unseren ersten französischen Hafen erreicht – sah man sofort am Weinregal im kleinen. Supermarkt.
Sollte das Wetter wie geplant bleiben geht es Morgen gleich weiter. Wir wollen die Tage nutzen und etwas Strecke machen mit Ziel erstmal Le Havre.
Von Scheveningen mussten wir das Maas-Scheldedelta bei Gegenwind unter Motor queren, ein Rodeoritt bei kabbeligen Wellen: Bei Gezeit gegen Wind sind die Wellen steiler und mächtiger, im Delta kommen noch die Queerströmungen der Wassermassen von Maas (Rhein) und Schelde dazu. Das erste Mal habe ich Laute des Unmutes über Wellen von Jürgen vernommen. Hafen ist riesig und stark industriell, ganz hinten liegen wir im ehemaligen Fischereck. Um uns herum die mittlerweile bekannte Hafenurbanisierungsbebauung, ein, zwei Geschosse niedriger, einige beleuchtete Fenster und die französische gedimmte Natriumdampfbeleuchtung, fast gemütlich. Mit der Küstentram und Bus nach Brügge. Blankenberge will Seebad sein, Charcuterie und Käseladen sehen lecker französisch aus. Ein Haus mit Art Deco decoration, also der Zeit, als die Walfischbein-Korsetts grade abgelegt wurden, steht mit hängendem Dach zwischen höhergezogenen Stahlskelett-Appartmenthäusern, die Häuser, egal wieviele Geschosse, bildet geschlossene Straßenfronten und anders als in Den Haag, wo fast alle Straßenzüge gleichförmig aussehen, aber jede Wohnung eine eigene Eingangstür, auf Straßenebene oder in überflutungsgefährdeten Bereichen nur durch eine extrem steile Streppe erreichbar. Diese Gleichförmigkeit mit roten Ziegeln, weißen Linien und Fensterecksteinen kann nur durch eine Developper-Finanzierungsstruktur entstanden sein. Hier dagegen ist jedes Haus anders, jedes Zimmer ein Stockwerk so schmal ist die Fassade, dicht an dicht aneinandergelehnt. Die mir in Erinnerung gebliebenen riesigen Ebenen von Campingplätzen habe ich nicht mehr gesehen, dafür eine Verkaufsausstellung von transportablem Ferienchalets (die robuste, nicht rollende Version von Wohnwagen). Wie in Schichten gibt es die Erlebnisbebauung gleich am Meer, die Beherbergungsbebauung, dann die Wohnbebauung, dann kommt Gewerbe (Garnelenzuchttechnik, industrielle Kartoffelprodukte und das übliche), Landwirtschaft mit der so heimatlich niederrheinischen Struktur von Pappelreihen, Gräben und Weiden, der Wind lässt die Unterseiten der Blätter hellgrau und salbeifarben flackern. Ich merke, dass sich mein Blick ändert: einerseits schaue ich aus Bus/Tram seitwärts, nicht nach vorne auf die Straße und sehe dadurch viel mehr. Mich umgeben dort mehrheitlich Menschen, die ihren gewohnten Gängen nachgehen, ins Krankenhaus, zur Schule, zur Arbeit fahren. Draussen, neben dem Fahrradweg, mitten auf dem Land, sitzt eine Familie. Vater Mutter Kind sitzt auf dem Gras, die Fahrräder flach am Boden, die Beine ausgestreckt, die Oberkörper abgestützt, wie aus einem Breughel -Gemälde entsprungen. Auf einer Kreuzung kurz bevor die Stadt steht ein Mann, um die vierzig, herausgerissen aus seiner Behaglichkeit mit orangen Plakaten eingesandwicht, protestierend gegen die Autofahrer, auf dem Plakat kann ich nur Umwelt und Klima entziffern, eine ferne Auswirkung der rabiaten Überschwemmungen weiter östlich. Ich steige aus und bin am Touristenziel, einem, dass nunmehr mit den anderen Zielen aus zwei Monaten um Würdigung kämpft. Einerseits finde ich das mittelalterlich erhaltene Zentrum schön, ich erinnere mich, wie sehr ich mich vor vier Jahre an der Kulisse von Venedig erfreut hatte, aber ich sehe, wie schwierig es ist, in den Häusern, an denen Tag für Tag massenweise Touristen vorbeigehen, die die possierlichen Häuschen aus einer ganz anderen Zeit bewundern, ein heutiges Leben mit den Möbeln in heutigen Dimensionen, Küchen mit heutigen Utensilien und eine geschützte Privatheit zu leben. Was genau finden wir daran toll? Kaum einer würde heute so dicht am Nachbarn leben wollen, mit so vielen Nachbarn gedrängt. Denken wir, dass ist unsere wirkliche Geschichte? Was davon wirkt wirklich noch- und wie? Der überwältigende Geruch der vielen Chocolatiers und Waffelbäcker markiert „Belgien“, die chinesischen Spitzen und Gobelintaschen sind sourveniertauglich. Brügge war 2002 Kulturhauptstadt, das Netzwerk der Beziehungen hält und so wird der Sommer kulturell ausgeschmückt. Auf dem Burgplatz Nachwuchsmusiker, grade macht eine Countrysängerin den Soundcheck. Das Concertgebouw -Gebäude ist eindrucksvoll. Leider ist grade heute nix im Programm. Im Groetehusmuseum die Rogier van der Weyden und den van Eyck bewundert. Unglaublich, wie einen die Gesichter anschauen über die Jahrhunderte hinweg, in hyperrealistischer Ausleuchtung,wie war das möglich in diesen dunklen Ateliers mit Talglichtern?
Beim Umsteigen sehe ich einen älteren Mann, belgische Stoppeln,klobige Schuhe, ihm fehlen Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand. Der Enkel im Kinderwagen, die Enkelin hat den Kinderwagen fest im Griff, rosa Tüllprinzessin. Er richtet ihr die Haare mit der verstümmelten Hand, liebevoll bleibt sie auf dem Kopf liegen, es ist das beste, was ihm passiert ist seit langem, dass er so ein Kinderköpfchen kraulen kann.
Freitagabend ist Ausgehtag, man trifft sich bei Bier und Häppchen, Geselligkeit, auch hier am Hafen, scheint doch zu funktionieren, wird genossen. Bier in Tulpengläsern, von Zartgelb bis Moorbraun leuchten sie, die Gespräche gehen über Tischgrenzen hinweg. In Gent sehen wir dann auch diverse Junggesellenabschiede, viel ist nachzuholen.
Gent gefällt mir gut, der Kern ist mit vielen gut hergerichteten historischen Bauten kompakte Historie, aber es gibt auch viel Neues, eine Universität mit vielen Studenten und, da die Bausubstanz an vielen Stellen an Prenzelberg vor der Gentrifizierung erinnert, scheint auch noch Freiraum zu existieren. Eine exquisite Buchhandlung in der Nähe vom Hauptbahnhof ist gleichzeitig ein Schreibmaschinenmuseum. Schöne belgische Mode (leider auf dem Boot fehl am Platze) ist der Rest der mittelalterlich florierenden Textil und Tuchindustrie. Die Stücke sind teuer, aber man scheint sie zu pflegen: es gibt erstaunlich viele Schneidereien, die Waschsalons haben nicht nur Waschmaschinen und Trockner, sondern auch Mangeln und Bügeleisen. Interessante kleine Läden mit kreativen Dingen. Auf dem Balkon des Theaters entwickeln ein Tänzer und ein junger Schauspieler eine Choreographie im Sonnenschein, zwei Typen in weißen Anzügen schauen der Performance zu. Wie gerne würde ich das Stück sehen in dem diese Szene eingebaut wird!