Nazaré Wieder beginnt der Tag mit Nebel, aber dann können wir doch geruhsam ein bischen segeln. Fast die Hälfte der Strecke! Und wir sehen eine Gruppe Delfine, erst ein zusätzliches Glänzen auf dem Wasser, ein paar Schaumkronen, die überzählig sind und dann die dreieckigen Rückenflossen, die Tiere haben ihren Spass und spielen um uns herum. Die Surf-Saison geht von Ende Oktober bis Ende März, als wir kommen, ist das Meer platt wie eine Tischplatte. Dennoch ist noch eine Gruppe mit Klampfe am Strand, ein paar beach-soccer 5 Gruppen trainieren sehr professionell und am Wochenende soll Jazz/Samba stattfinden. Einige kleine Boote sind liebevoll restauriert und in Buntstiftfarben angemalt, ein paar alte Fischer trocken Fisch am Strand und verkaufen ihn gleich. Es sind kleine Gesten, die aber dem Ort ein paar Eigenheiten mitgeben und ihn abgrenzen von Afurada oder – da greife ich vor, von Peniche. Eigentlich wollte ich nie mehr hingucken, aber das allmähliche Schwinden des Lichtes bei gleichzeitigem Hellerwerden des Meeres zu einem sublimen Silbertürkis, der die vergangene Sonnes des Tages auf den Gesichtern noch einmal glühen lasst, war immens sublim.
Peniche Noch ein Tag durchgehenden Motorens, der Ort ist ein großes Gewürfel kleiner bunter Häuser, ein großes Fort, viel Fischerboote.
Am Samstag brechen wir endlich von Porto auf, in aller Frühe und erleben kurz hinter den breakwater Signalen das Durchkommen der Sonne, eine hellere Stelle im Nebelgrau, die sich immer mehr verdichtet und schließlich eine kompakte Scheibe im Dunst bildet. Für einen kurzen Moment sieht das Meer aus wie ein Kondensmilch-See mit hechtgrauen Schlieren, dahinter die Ausläufer der Stadt, nach dieser langen Zeit ist es richtig Abschied und Aufbruch! Dann wird wieder alles dichtes Grau, kühl feucht und ein Meer, das eher nach Akustikwellen einer Motorstörung aussieht als nach Segeln. Ich habe mich aber leider überschätzt, ich merke, dass ich für einen Nachtfahrt noch nicht wieder fit bin, die Glieder tun noch weh, der Schwindel ist fiebrig und so beschließen wir, statt bis Lissabon nur bis Figueira do Foz zu fahren. Wir sollen an Ponton G gehen- G wie Guano-Felsen, die Stege sind voller Mövenschiet und auf den Pollern sitzen die großen Graumöven und beobachten genau, ob ich auf der Schleimpupserei ausrutsche oder nicht. Ich weiß nun, wozu die sehr dünnen Drähte oder Angelschnüre dienen, die auf den Stammstegen wie Pergolen gespannt sind: vermutlich sind es Mövenschreck-Drähte, sie sind so dünn, dass die Möven sie nicht sehen und dagegen fliegen und sich so erschrecken, dass sie diese Geisterstege meiden. Figueiras hat die Größenordnung von Gifhorn, wird aber im Sommer von Zweitwohnungsbesitzern aus dem Binnenland und der spanischen Extremadura als Ferienort genutzt, Hafen, Salzgewinnung, damit auch Stockfischproduktion. Wie in Porto auch bereits, sind viele ältere Leute kleinwüchsig, ich befürchte, das kommt noch aus den Hungerjahren zum Ende des Estado Novo, wo eine ganze Generation in der frühen Kinder zu wenig zu essen hatte. Ein paar alte Häuser nett hergerichtet, ein paar alte Häuser sind Wohnstätten für Pflanzen geworden, aus jeder Baumode seit den 70 er Jahren sind ein paar Blöcke erhalten: Hochhäuser mit bunte Riemen aus dem 60 Jahren, possierliche Verandagestaltung aus den 80 ern, 90 er Spiegelglas, unbeschwert macht man, wofür man grade genug Geld hat. Am Strand ist ein altes Fort zum Hamburger-Lokal mit Techno-Terasse umgebaut, von oben tanzen am frühen Sonntag nachmittag der Koch und reckt seinen Kochlöffel zum beat in den Himmel, das hat was.
Leider habe ich Jürgen wohl angesteckt, also werden wir pausieren, die Sonne und die Gemächlichkeit sollen´s kurieren.
Nachdem wir ja 0 gesegelt sind mit Hannah ist Eisenbahnfahren nach Lissabon auf dem Plan. Der deutlich sichtbare Verfall in Porto ist in Lissabon etwas abgeschwächt: Als erstes geben wir meine Rettungsweste zur Wartung ab, dazu müssen wir eine psychedelische Unterführung queren : komplett besprayt, sinistre Figuren skaten durch die Unterwelt, Klacken, Rollen, Klacken. Der Hafen in Santo Amaro macht einen modernen Eindruck, die Lokale drum herum sehen nach guter Ausgehmeile aus. Ein paar Straßen weiter nach Norden ist die LX-Factory, ein altes Industriegelände, in dem sich hippe Geschäfte angesiedelt haben, wie in China eine Zwischhennutzung, in der Geschäftsideen mal ausprobiert werden können. Eine riesige unabhängige Buchhandlung, in der ich Stunden verbringen könnte, cool. Das Marktgebäude etwas weiter ostwärts ist zweigeteilt: ein klassischer Gemüsemarkt mit üblichen Öffnungszeiten und ein fashionabler Foodcourt mit Streetfood, edleren Tellern und einem riesigen Spektrum von Getränken. Wir laufen weiter, während eines heftigen Regengusses stellen wir uns in einer Einfahrt unter, die durchaus auch noch als Einfahrt genutzt wird, fast wären mir die Fußspitzen abgefahren worden, so dicht behauptet der SUV sein Einfahrtsrecht. So fliehen wir in einen indischen Klamottenladen, der sich als wahrer Suk entpuppt, mit einer fast endlosen Folge von Kammern mit buntesten Kleidern, Farben Stoffe voll 60ties, unten in der Baixa sind asiatische Second-Handläden: Hier könnte man sich neu ausstaffieren für eine exotische Identität. Mit vollem Kulturanspruch versuche ich Fado Noten zu kaufen, ein Anlauf: Musikinstrumentenmuseum – nix. Einer der zwei großen Instrumentenläden der Stadt: Die Verkäuferin meint, die Noten, die sie haben wären für nur Gitarre (Hat sie falsch geraten) aber im Fado Museum kaufe ich einfach ein Heft: Ich wundere mich darüber, dass eine Schriftform kaum zu existieren scheint, aber eigentlich ist es klar: wie Blues ist der Fado ganz Gefühl, wer es lesen will, liegt schon falsch.. Auf dem Restauradores Platz ist ein Obdachlosenzelt auf dem U-Bahnschacht aufgebaut, an einigen Stellen sind Kartonhäuser. Später sehe ich eine kleine Frau, schwarz angezogen, mit einem Tuch um den Kopf, wie aus den 30 ger Jahren, sie bettelt. Ich fahre mit dem Bus einen Umweg, kann ja mal passieren und komme durch Beato, wörtlich das Glückliche, ein Euphemismus, hier sind nur Betonblöcke, keine Eckkneipe, kein Lebensmittelmarkt, nur ein Geschäft annociert: compro Oro (kaufe Gold). Porto hat mich immer wieder genarrt, durch die bergfaltige Topographie und gewundenen Straßen war die Stadt wie ein Spiegelkabinett: Man denkt, man ist nahe am Ziel und nach ein paar Minuten sieht man den Turm von einer ganz anderen Seite; Lissabon ist ähnlich, nur die Avenida Liberdade Achse und die Baixa (hier hatte das Erdbeben von Lissabon 1755 gewütet und die alten Viertel vernichtet, der Wiederaufbau erfolgte nach neuen hygienischen und aufgeklärten Grundzügen) geben etwas Halt, immerhin. Schöne Plätze: Kaffee vor dem Museum do Pharmacia (immer gibt es hier auch Straßenmusik) Castelo de San Joao – aber nach der Schließung der Burg. Wir kommen an dem Ministerium für Umwelt vorbei, ein wunderbarer alter Palast mit herrlichem Garten, den wir nur erahnen können. Wir erhaschen einen Blick auf den Portier, der vor einem altertümlichen Aufzug seinen Arbeitsplatz hat, sehr formell mit Oberhemd und Krawatte, völlig untätig. Ich habe die Vorstellung, dass in einigen Palästen noch immer kleine alte Damen und hutzelige wohlgekleidete Herren leben, umgeben von alten Dingen und in einem träumerischen Leben befangen, Bücher mit wohlgesetzten Reimen durchblätternd und den Tag im Schatten blübender Kamelien verträumend, während andernorts sich arbnb Rollkoffer über die Plastersteine mühen, internationale Hipness zu verbreiten. Ich freue mich darauf, in ein paar Tagen mit Jürgen noch einmal zu kommen, es gibt so unendlich viel zu entdecken.
Holterdipolter mit dem IC nach Coimbra. Die Stadt hat sich in letzter Zeit, der Taxifahrer meinte vor 20 Jahren einen Gürtel aus Stadtautobahnen zugelegt, der den Kern mit einer engen, unwirtlichen Autozone umgibt. Die Baixa ist das alte Handwerker- und Händlerviertel, hier wurden die Waren der Flussschifffahrt des Modinho umgeschlagen, steil nach oben führen die Gässchen zur Universität, der ältesten Portugals und eine der Top 3 Universitäten des Landes. Der Komplex ist riesig, sehr alte Gebäude mit Kirchenmobiliar wurden durch große neue naturwissenschaftliche Fakultäten ergänzt . Wir essen in einer Art Unimensa, bei der wir uns unsere Tabletts auf einen Balkon tragen können mit herrlichem Blich übers Tal und in den botanischen Garten. Weiter hinten ist eines der alten Gebäude in eine Strafanstalt umgewandelt worden, man hat ja so viele davon und what´s the difference?.Auf der nächsten Bergkuppe weitere stattliche große Baukomplexe aus dem 18 und 19. Jahrhundert. Der botanische Garten hat es mir angetan, ein Teil ist ein klassischer terrassierter Barockgarten, ein anderer Teil ist ein Waldbereich, der während der Säkularisation den Klöstern abgekauft wurde. Es gibt ein Bambuswäldchen mit mindestens fünf Meter hohen Bambusrohren, die im Wind bedrohlich gegeneinander klacken. Ein riesiger Komplex von Gummibäumen, deren Stämme miteinander verschmelzen, ein tropisches und ein kaltes Gewächshaus sind weitere Attraktionen. Wie die Stadt auch, wird an manchen Stellen die Grenze zwischen entspannt und vernachlässigt zur Nachlässigkeit hin überschritten. Vielleicht liegt es daran, dass am Ostermontag viele Geschäfte und Restaurants noch geschlossen haben, vielleicht sind die Geschäfte in die außenliegenden Shopping center umgezogen, vielleicht liegt es daran, dass ein deutlicher Einwohnerschwund zu verzeichnen ist, es macht sich ein wenig der Eindruck des drohenden Verfalls breit. Vielleicht sollten wir es einfach als eine Möglichkeit betrachten, das romantische Gefühl des Ruinentourismus nachzuvollziehen, die Lust am entdecken alter Steine, das innerliche Gefühl der Vanitas und somit ein gutes Gegenbild zur Immobilienspekulation in Porto zu sehen.
Zu meinem Geburtstag gibt es Kaffee im Restaurant Praia da Luz in Porto bei kuratierter Musik für Atlantikwellen, die beats sind fast auf die Wellenfrequenz abgestimmt. Abends werfe ich mir wie Aschenputtel das neue Kleid über und fühle mich wunderschön, wir essen in der Nähe des Hafens im Armazen de Pesce, beides gute Orte.
Mit dem Vorortzug nach Braga. Nach Fatima beherbergt Braga das wichtigste Marienheiligtum Portugals. Erhebung zum Erzbistum und wichtige Klöster, darunter auch eine Niederlassung der Zisterzienser aus Cluny hinterließen eine Vielzahl prächtiger Kirchen, Klostergebäude. Die Stadt ist seit langem wohlhabend und zeigt dies durch prächtige Stadtpalais aus Barock und Renaissance. Es ist Gründonnerstag und in den verkehrsberuhigten Straßen der Innenstadt erklingen überall zentral gesteuert Mönchsgesänge, in der Kathedrale ist stündlich Messe. Man wird richtig eingestimmt auf die Prozession, die sich gegen halb zehn abends formiert, zuerst die Büßer in dunklen Kutten und Kapuzen, die den Kopf bedecken und Augenlöcher haben, dann die Allegorien der wichtigsten Tugenden, der Märtyrer, die Leidensstationen, eine großes Christusstatue, Repräsentationen der wichtigsten katholischen Aufgaben (lehre die Unwissenden, speise die Armen, kleide die Bedürftigen, etc) schließlich die Funktionsträger der Kirche mit der allerheiligsten Monstranz in Kreuzform, gefolgt von Ehrenbürger/Bürgermeister unter Polizeischutz: eine lebendige Darstellung der zentralen Inhalte und Aufgaben des katholischen Glaubens. Die Prozession wird eingeleitet von einer Trauermusik der Kapelle und ausgeleitet von Trauermusik, die Zuschauer schweigen, die Teilnehmer der Prozession sind still und sehr konzentriert, alle, auch die Kleinen Engelchen, als die die Kinder der Darsteller mitlaufen, sind sich bewußt, dass sie eine heilige Geschichte darstellen und einen liturgischen Dienst erfüllen. Die Stille, die dumpfen Paukenschläge, harten Stockeinschläge der Pilgerstäbe, und getragenen Begräbnisbläsersätze sind sehr beeindruckend.
Karfreitag ist hier Feiertag, allerdings sind Lebensmittel und Restaurants offen. Die jüngere Bevölkerung genießt den freien Tag und die Sonne, man muss sich am Hafen durch die Radfahrer, Scooterfahrer Läufer und Walker schlängeln, einer hat ein elektrisches Chopperfahrrad, ein anderer hat den Blaster im Rucksack. In Leixoes kaufen wir den letzten dort erhältlichen Ruckdämpfer um uns auf die Wetterfront vorzubereiten, nördlich davon ist ein ewiger breiter Sandstrand, weiter südlich bei der Mündung wird es mondän, aus einem Restaurant klingt cooler live Ambient Jazz, die jeunesse doree fläzt sich in Loungesesseln mit Cocktails, die im Gegenlicht in kunterbunten Farben leuchten, A vida e boa.
Die Ufer sind steil an der Mündung, die Häuser würfeln sich übereinander, bunt angemalt, viele mit Kacheln verziert, in allen vorstellbaren Formen der Alterung: Ganz neue Blöcke, Kernsanierte Bauten mit guten Fenstern, Hausscheiben, in denen das Erdgeschoss gut hergerichtet ist für einen Laden oder ein Café, oder in denen die Haustür mit Zahlenschloss auf Vermietungsaktivitäten hinweist, manchmal ist ein Dachgeschoss auf ein altes Haus aufgesetzt, manche Häuser sind verrammelt und beschmiert, bei einigen ist die Fassade stabilisiert und wartet auf weiteres. Vielleicht haben so die Reisenden im 19. Jahrhundert Italien gesehen: Die Erinnerung an gloriose Vergangenheit, hier in Porto der Reichtum aus den Kolonien, an die Machtentfaltung der Kirche, auf die dann aber eine Auflösung der Strukturen folgte, der Wildwuchs an Bauten und steinernen Lebensträumen, Jetzt die Gewinnillusionen des Immobilienhandels, überall steht „vende“ und eine Telefonnummer, jeder will einen Claim anbieten, man sichert sich Areale für Condominiums oder andere Projekte. Und wie in Brasilien (eher wird es umgekehrt sein, in Brasilien hat es sich so wie in Portugal entwickelt, aber wir haben es in anderer Reihenfolge gesehen) steht ein neues Architektenhaus mit tueren Autos in der Garage neben einem mickerigen alten Haus neben einem mittleren Haus vor einem ultraneuen Block. Anders als in Spanien haben wir aber nicht so viele Eckkneipen in den Wohnregionen gesehen. Hier am Hafen wurde ein Bereich der Fischer quasi erhalten, ein paar eingeschossige Straßenzüge sind wie vor hundert Jahren erhalten, nur einige haben neue Türen eingebaut. Die Frauen tragen viel Schwarz, karierte spitzenbesetzte Kittelschürzen und gestrickte kleine Capes um die Schultern. Es gibt ein Waschhaus mit Trockenleinen, jeden Tag wird dort Wäsche gewaschen. Wir warten auf den Bus, die Frauen machen sich über die Busse lustig,Pünktlichkeit, die Fahrer, ich verstehe fast nichts, aber man lacht laut, ein Wort gibt das andere, es ist ein Waschweiber-Rap.
Wir haben das moderne Museum Serralves gesehen, sehr schöner Bau in einem wunderbaren, riesigen Garten. Der nieselige Dauerregen zeichnet die Konturen der Baummassen weich, verflacht die Ansichten in den Sichtachsen, aber dafür sind die Kamelien wundervoll, riesige volle Blüten in allen Rosaschattierungen, ich kann Mimosen riechen und gute Frühjahrserde. In der Ausstellung gibt es eine Abteilung für Manuel de Oliveira, den großen Kinomacher, der von Stummfilm bis zu den elektronischen Bildmedien alle Materialen genutzt hat. Man sieht Filmszenen, Textglossen, seine tiefe Verwobenheit in die bildliche und textuelle Kultur eines Jahrhunderts. In den gezeigten Filmsequenzen werden existenzielle Momente geschaffen, in denen die Protagonisten die großen Fragen des Lebens in ungeheurer Spannung zur Sprache bringen, griechischen Tragödien gleich.
Im Bilderteil wird eine kleine Arbeit gezeigt, die ein guter Kommentar dazu ist: Zwei Projektoren werfen ihre Bilder teilweise übereinander, die Bildobjekte und die Projektionslinsen sind durch Motoren rotierend bewegt. Links wird eine Art Uhrwerk abgebildet, rechts eine Scheibe eines Rauchachat-Druse mit Bergkristallen an der Drusenwand. Wenn man das Uhrwerk von der Seite betrachtet, ist alles ganz einfach, man erkennt die Bauelemente und ihre Montage. Auf der Projektionsebene sieht man wundersame Strukturen, Linien, Zacken, Balken- ich wäre nie imstande, das Uhrwerk zu rekonstruieren und ihre Verschmelzung mit den biomorphen Elementen des Minerals in zwei Faktoren zu zerlegen. Die Arbeit ist „Cinema“ benannt- ich hätte auch Erkenntnis als Titel gut akzeptieren können. Eine weitere Arbeit in der Ausstellung hat es mir angetan, von Christine Kubisch das „Gewächshaus“, Kabel hängen von Bambusstangen, man bekommt kabellose Kopfhörer, mit denen man durch die Drahtlianen bewegen kann. Man hört, abhängig vom Ort an dem man ist, eine Mischung aus Vogelstimmen, Wassergeräuschen und elektronischem Klangstrukturen- sehr interessant.
Wir holen unsere Tochter in Lissabon ab, die Zugfahrt zeigt einen guten Querschnitt von Portugal: Atlantikküste, bergiges Naturschutzgebiet, Weinfelder und Reisanbauflächen, Industrievororte. In Porto haben wir dann die Livraria-Lello-Experience: Man kauft Tickets für einen Tag, steht lange in einer bunten Schlange an, einige Jugendliche haben Harry Potter Outfits und Zauberstäbe dabei, endlich kommen wir in die Buchhandlung selbst. Einige Wände sind verglaste Regale mit antiquarischen Büchern und Gipsbüsten der zugeordneten Schriftsteller, wenn man alles andere ausblendet, eine wundersame Art, Bücher aufzubewahren. Die Schnitzereien sind prächtig flamboyant. Die Verkaufsregale sind stapelweise gefüllt, Lektüre für beflissene Eltern, nach Nobeltreisträger, Portugals Meister und englisch sortiert. Im Keller ist das eigentliche Antiquariat, dafür muss man eine Bewerbung schreiben, die geprüft wird und bei Erfolg kann man einen Termin vereinbaren. Lt Website ist aktuell eine Erstausgabe von Moby Dick aus dem Besitz von Jim Morrison unter den Schätzen, wie an vielen Stellen hier liegen die Extreme dicht beieinander. Ich spreche einen Mitarbeiter an, er lässt auch durchblicken, dass es für ihn als ausgebildeten Buchhändler keine tolle Sache ist, die Besucher zu ermahnen, die Maske wiederaufzusetzen und die Selfie-Schlangen zu organisieren. Um Bücher zu kaufen schlägt er eine Buchhandlung ein paar Schritte weiter vor…Ich glaube, die enormen Einnahmen aus dem Ticketverkauf kommen der Finanzierung einiger Projekte zugute wie der Übernahme eines Verlagshauses aus Coimbra.
Eine wunderbare Ecke ist der Jardim des Virtudes, hier sammeln sich Junge Leute, sitzen auf dem Gras, genießen die Aussicht, trinken ein Glas Wein dazu, eine Ecke wie der Mirador in Lissabon:
Nächtliche Gewalt Irgendwo bei Island nordwestlich von Porto liegt ein mächtiges Tief, hier ist es für Schwell aus westlichen Richtungen und Südwind verantwortlich, morgen sollen es 3,5m werden. Der Douro, ehemals ein ungebärdiger Fluss aus dem bergigen Inneren des Landes kommend, mündet bei Porto in den Atlantik. In der Marina in der Flussmündung sieht man keine Welle, aber Wirbellinien im Wasser. Wir aktivieren alle Ruckdämpfer, die wir haben und legen ein kompliziertes Zickzag von Haltelinien um das Boot herum. Alle Fender werden ausgebracht. Die anderen Boote tanzen auch, der Steg zappelt so, dass ich auf dem abendlichen Gang zu den Sanitäranlagen ins Stolpern komme. Ein Geschepper erfüllt den Hafen, Schwellbleche lärmen, der Steg quietscht. Im Bett ist es ruhiger, so dass das Kopfkino arbeitet. Im Grunde liegt man auf einer weichen Matratze, die gute Dauendecke hält warm. Aber es fühlt sich an wie in einem Überraschungsei, das von eine gewalttätigen Gang herumgekickt wird: Man zuckt zusammen wie unter Schlägen in den Rücken, wenn das Boot mit aller Wucht in die Leinen ruckt, das Knarren der Leinen an den Klampen klingt wie das Ausrenken eines Schultergelenks. Eine Zeitlang wird das Boot gelangweilt durch die Gegend gekickt, dann kommt neue Lust auf Gewalt auf, ein Knie in den Magen und ein paar Tritte in den Rücken, es klingt wie wenn der Zahnarzt die Knochen aufbohrt, dazu das gemütliche Geknautsche der Fender wie ein altes Plastiksofa und das Quitetschen der Bodenbretter, die sich gegeneinander reiben. Montag nachmittag soll es anfangen, besser zu werden, aber es wird wahrscheinlich bis Mittwoch unruhig bleiben. Am Morgen beschließen wir, dass ich alleine nach Lissabon fahre, um Hannah abzuholen, Jürgen bleibt beim Boot, damit er schnell was machen kann wenn etwas passiert. Aber im Shop sind alle Ruckdämpfer ausverkauft.
ein langer Segeltag, die Liste der Sachen, die ich gegen die Kälte übereinandergezogen habe, würde den Rahmen dieses Blogs sprengen. Jürgen wiederholt mantrahaft die Sätze aus dem Pilot, dass nach der Umrundung des Cabo Fisterre die Wellen niedriger werden, das Klimer milder und die Crew wieder lächelt. Der Wind aber frischt gegen Ende hin recht deutlich auf, ich war froh, dass ein Marinero half die Leinen zu befestigen. Kalte feuchte Laken, sternklarer Himmel,aber der Morgen zeigt ein wunderbares Rund verschatteter Berge, Häuser wie frisches Geröll, der Himmel hart blau, streng kalt durchweht. Warum trifft mich diese Schönheit so unvermittelt, weil es einen Fond von Bildern gibt, in dessen Grund alle diese Bilder von Buchten liegen und deren Leibhaftigkeit der Existenz dann einfach freut? Um die Mittagsstunde (da ist hier ja Siesta) ist die Altstadt leer, fehlen ein paar Kühe, die man über die Straßen treibt, man wäre im Mittelalter. Vor den Autobahneinfahrten wird hier immerhin noch darauf hingewiesen, dass die Benutzung durch Pferdegespanne nicht zulässig ist. Milde ist es erst so ab 15:00 wenn man eine windgeschützte Ecke findet, aber besser als die Bilder von Osterglocken im Schnee aus der Heimat ist es allemal. Da, wo der Atlantik das Wasser austauscht in Ebbe und Flut ist es unglaublich klar, mit der Spiegelung des blauen Himmels könnte man so manchen Strand als Karibik ausgeben, nur die Wassertemperaturen entlarven den Fake. Busausflug nach Vigo, 280.000 Einwohner, sie behaupten, im Einzugsgebiet wohnen 500.000, wer weiß, wie „Einzugsgebiet“ definiert ist- Peugeot-Citroen hat einen Produktionsstandort hier, Werftindustrie freut sich auf die erwarteten Rüstungsaufträge, Fischereinindustrie und Handelshafen: Die Wirtschaft scheint zu brummen und auf den vielen Baustellen lärmen die Presslufthämmer. Vom Kastell hat man einen wunderbaren Blick über die Bucht, die Erläuterungstafeln weisen eine Kette von Eisenzeitlichen Siedlungen aus. Ob für die damaligen Siedler, Fischer und Händler der Blick nicht nur strategisch wichtig war, sondern auch schön?
Fast die Hälfte der Strecke von A Coruna können wir gut segeln, leider liegt die Küsten meistenteils im Dunst, aber man könnte sich vorstellen, dass dahinter Cornwall liegt.
Die Marina ist gut geschützt durch neue Molen, die Stege neu. Die Sanitäranlagen haben einen distressed look, wir fragen uns, ob es absichtlich ist um Surfer-Atmosphäre aufkommen zu lassen oder ob es einfach noch nicht fertig ist. Ein Boot mit irischem Namen ist das Basislager eines Tauchers, das Wasser selbst im Hafenbecken ist unglaublich klar, aber 13°- und die Luft ist nicht wärmer. Ein abendlicher Gang durch das Örtchen lässt de Chirico-Gefühle aufkommen, leere Gassen, verwinkelte Häuser, keine Blickachsen, kein Licht in den Fenstern, kein Rauch aus dem (seltenen) Schornsteinen. Lands End, obwohl wir noch nicht an Finis terrae sind. Am nächsten Morgen gehen wir zur Kapelle, die Kilometer 0 des galizischen Teil des Jakobswegs markiert, das Meer ist bewegt, ein Pilger bittet mich um ein Photo und erzählt, dass er dann nach Fisterre wandert und dort alle Sünden ins Meer verschwinden. Bei dem blankgewehten und saubergeregneten Himmel werden sie bestimmt blitzschnell verschwinden. Schöne Vorstellung, erklärt auch die große Anzahl der Herbergen, die wir sehen, und in der Bar am Vormittag sitzen schon ein versprengte Pilger mit festem Schukwerk Rucksäcke zwischen den Füßen und Outdoorjacken. Der Ort könnte als aktuelle Version eines Dorfes gelten, in dem es genau das gibt, was man für den Inbegriff des Dorfes braucht: Schenke, Kaufmann, Metzger, Fischhändler, Wirt, eine reinigende Schlichtheit am Ende eines langen Weges. Vielleicht könnte der Eindruck auch kippen: die Schule ist ein Betonhof, ein, zwei Gassen sehen aus wie verunglückte Nachbauten eines englischen Reihenhausprospektes, in der Tür wird getrascht, ein Pensionistenheim, verbitterte Alte laufen einsam um den Hafen, im Hafen ein paar kauzige Drop-outs?
Wir können uns ein Auto mieten und fahren nach Santiago de Compostela, es ist klar und bitter kalt, das Licht fällt scharf an den Granitskulpturen herab, die Kathedrale hat prächtigste filigrane Gitter und Balustraden aus dem harten Stein, innen im Altarraum ein barocker goldener Weinberg als Struktur für riesige Baldachinträger, eine große Maschine zum Schwenken eines Weihrauchfasses. Ein beeindruckender wuchtiger Bau, umgeben von Klöstern und Kirchen aller wichtigen Orden, es ergibt sich eine dichte Altstadt, hohe steinerne Wände, manchmal ein wenig abweisend, ein sehr effektiver Wallfahrtsbetrieb. Der große Markt in seiner soliden Markthalle ist voll mit allem, was Spanien an schönem Obst bietet. Draußen vor der Stadt sehen wir das moderne Kulturzentrum, ich vermute, dass dort auch die Besucherbusse parken.
Eigentlich wollten wir dann als nächstes Fisterre anfahren, aber in dem Gewirr kleinster Strassen, die rauf und runter gehen, verlieren wir uns etwas. Einmal, uns hat es nach weit oben geführt, sehen wir die Halbinsel Fisterre und daneben blauschimmernde Buchten. Wir sehen uralte Brücken, unzählige Horreros (Getreidespeicher, die auf Stelzen stehen, vorne auf dem Giebel ein Kreuz, aber man kann ja nicht wissen, daher hinten eine heidnische Pyramide). Der Wald ist Nutzwald, häufig Eukalyptusplantagen der unterschiedlichsten Jahrgänge, Schneisen zur Waldbrandbekämpfung, Windräder und mitten im Nirvana eine Hüttenanlage für Legierungen. Ganz alte Feldsteinhäuser und Steinmauern, wie in Irland, neuere schlichte Bauten mit bunten Fassaden, auch in kleinen Dörfern fünfstöckige Wohnblocks, so mancher gescheiterter Immobilientraum. Immer wieder wunderbar weite Blicke, immer wieder unglaublich schöne Buchten – Schnorcheln muss hier ein Traum sein, wenn nur das Wasser nicht soooo kalt wäre.
Das Motoren nach A Coruna ging dank platter See besser und wir kommen Sonntags am frühen Abend an, ein nach Mariachi_Musik klingender Trompeter macht fröhliche Musik, man kann die Sonne ahnen und tout le monde ist unterwegs und spaziert auf der riesigen Promenade, das europaweit eingesetzte altmodische Karussel vermittelt Familienflair. Es ist die erste Marina in diesem Jahr, in der wir soetwas wie Marinabetrieb erleben, ein polnisches Boot liegt schon da, ein französisches Boot kommt grade aus der Bretagne an, ein anderes französiches Boot kommt aus Porto, etwas später legt ein deutsches Boot kommend aus La Rochelle an- nur wir sind grade um die Ecke gefahren 😉 . Sehr freundlicher Empfang und Hilfe bei allen Fragestellungen – leider ergibt die Nachfrage der freundlichen Kapitana, dass die Fama, man könne in Coruna Gas nachfüllen, leider nicht stimmt, die Füllanlage ist defekt und die rigorose Gesetzesumsetzung macht es unwahrscheinlich, dass die Reparatur irgendwann einmal angegangen wird.
Torre Herkules, Weltkulturerbe weil der älteste Leuchtturm mit Funktion ist jetzt ein Neubau aus dem Jahr 1788+, massig und bereit allem Unbill zu trotzen. Vor Jahrzehnten war ich einmal bei Sturm auf dem Felsen daneben und über die Wucht der Wellen sehr beeindruckt. Jetzt große Ruhe, man denkt, man könnte leicht in der Lagune neben dem benachbarten Aquarium schnorcheln. Das Haus des Menschen (Domus) wurde von dem japanischen Architekten Arata Isozaki entworfen, hat eine aufwändige Schieferfassade, sieht eher rückhaltend aus, innen eine interaktive Ausstellung, viele Schulklassen müssen hier ihre Führungsbögen abarbeiten oder hängen grüppchenweise in den Restrooms ab. Bellas Artes ist ein schönes Museum, grade genug Bilder um Auswahl zu bieten, aber nicht zu viele um einen zu entmutigen, die Ausstellung Alejandro Gonzales Pascual aus Coruna (gest 1993) gefällt mir gut, in den Stilleben wird das Licht der Tücher und Servietten auf Tellern oder Krügen zelebriert, es schimmert und leuchtet die schlichten Arrangements aus. Baumrümpfe sind eher Volumenportraits und die Menschenbilder sind zurückgenommen, flächig, die Augen eher schwarze Mandeln (sonst ist der Blick schnell stechend), freundlich. Aus dem Prado sind einige 3D- Bearbeitungen klassischer Spanischer Bilder, es ist merkwürdig, ein Bild nur aus den Konturen lesen zu sollen.
Inditex, die weltweit größte Bekleidungsfirma (ZARA, Mango, ba&sh, Massimo Dutti und und) sitzt in einem Vorort von A Coruna, man merkt es, viele Absolventen der Ausbildung haben sich mit kleinen Läden selbstständig gemacht, manche Frauen sind wie die Queen angezogen, eine ist in allen Schattierungen von veilchenlila perfekt gekleidet, andere stilsicher komplett gestylt. Coruna ist ziemlich groß (nominell 240.000, aber mit der Umgebung dazugerechnet eher 400.000), Als das Flachglas erfunden wurde und viele reiche Kolonialherren nach Aufgabe der Kolonien zurückkamen, haben sie sich verschwenderische Glasveranden hingebaut, auch einige Hochhäuser und Art Deco Bauten entwickelt. Andererseits merkt man, dass jede Krise auch in Coruna deutliche Spuren hinterlassen hat, Werftbetriebe, die geschlossen haben, Bankenkonsolidierung, Immobilienblase. Während der Franco Zeit wurden die aufmüpfgen Corunesen bestraft durch Verlagerung der Verwaltung in das gut katholische Santiago, also auf und nieder. Eine spannendede Stadt.