Alicante

Alicante
Seit langem wieder eine Großstadt- der Paseo Maritimo und die Piazzas im Altstadtbereich sind großzügig und winddurchweht. Früher habe ich Gummibäume als Pflanzen für phantasielose Amtstuben belächelt, hier werde ich eines besseren belehrt und beginne, das Loblied auf sie zu singen: Ihre dunklen großen Blätter können sich wohltuend übereinanderlegen und großzügig Schutz den daruntersitzenden oder wandelnden Menschen bieten, ihre riesigen glatten Stämme bieten Nischen, um sich hinzusetzen und anzulehnen, sie gestalten schattige, aber windoffene Plätze, sie strömen eine jahrhunderte anhaltende Geduld und Gleichmütigkeit aus, das nach schwerem Leder klingende aneinander Klappen ihrer Blätter absorbiert die kleinteiligen Geräusche der Straße, oh wunderbare Freunde in hitziger Stadt!

An der äußersten Mole ist ein großes Areal eine Winterbrache, im Sommer haben sich hier mindestens vier Discos etabliert, jede mit substanziellen Bühnen und großen Mischpulten. Ab dem frühen Abend beginnt das Wummern und nimmt bis Mitternacht zu, erst bei Beginn der frühen Morgenstunden nimmt der Schalldruck ab. Im Cockpit wird mein Zwerchfell massiert, wenn man sich flach auf das Boot legt, merkt man das Vibrieren. Toda la noche, todas las noches (die ganze Nacht, alle Nächte) sagt der Marinero. Am ersten Abend habe ich begeistert den jungen Leuten zugeschaut und merkte, wie die Lust auf Tanzen in den Beinen kribbelt, phantasiere von tropisch warmen Nächten in einem riesigen Menschenrausch. Wenige Stunden später hasse ich den akustischen Müll, der sich nicht abschütteln lässt, der durchgängig monotone Basswums klingt in den Ohren nach, auch als er schon aufgehört hat, die gleiche sensorische Illusion wie das Nachbild nach einem zu lange Fokussieren eines grellbelb/grellgrünen Streifenmusters. Toda la noche, todas las noches.

Museo de Bellas Artes, Museo de Arte Contemporanea
Schöne Bilder, lokale Künstler: Landschaften in gelb, ocker und grau; eine Abstraktion der Alhambra in Granada besteht nur aus goldsand -farbigen und coelinblauen Schraffuren, eine wunderbare Schwebende, die Illusion von Tiefe erzeugende Textur stellt das Licht dar, als würde man blinzelnd ins Helle schauen.
Sempere: ich stelle mir vor: das ungeliebte einzige Kind einer reichen Familie, zurückgezogen und im autistischen geduldigen Ziehen von Strichen verloren, die sich verselbständigen zu Bändern und Flächen, aus Tinte gewebten Bandagen, die gipsfarbige oder dunkle Bögen markieren.
Andere nehmen manchmal die Oberfläche die Strukturen der groben, über all offenen schrundigen Erde auf, manchmal werden Gitter, Raster zu Bildelementen, lange Schatten von Einschränkungen, Ängsten, Trauer durch Krieg und Diktatur.
Malen ist schon eine merkwürdige Profession oder Berufung: hier in Alicante sind die grundlegenden Erfahrungen so anders, man schaut in Schaufenster tief in Keller herunter, die eigentlich einsehbare Ausgrabungshallen einer zweitausendjährigen Vergangenheit sind, man geht auf den Berg über jahrhundertelang ausgetretene glattgeschliffene Wege, der Blick über Land zeigt alle Farben roher Erde, offene Tagebauten, Salzflächen glänzen, weiße Plastikgewächshäuser, das glatte Meer, türkis, preussischblau, moorbraun, Arabesken von schmiedeeisernen Gittern, knotige Schutzgitter, liniendurchwobene punzierte Panzertüren. Eine Ordnung des Raumes nach Sichtachsen, nach den panoptischen Punkten ist ganz selten.
Und doch sind die Bilder im Bellas Artes Museum genau so wie die in Paris: ein blühender Apfelbaum, dessen weißer Blütenschaum wie Freistellungen, Löcher im Farbteppich sind, aus Frankreich geholte Damastseiden-Texturen, akademisch gemalte Key- Filmstills, die ganze Miniserien von Netflix zusammendampfen und mit dem ganzen Repertoire der maltechnischen Tricks arbeiten, um in den Ausstellungswettbewerben zu bestehen.

Wir erleben auf dem Platz des Ayuntamiento den Beginn der internationalen Bläsertage, ein tüchtiges Blechbläserensemble pocht mit hellen Fanfarenklänen an den noch dämmerigen Himmel, Schwalben flitzen umher, einige neugierige Gäste stehen auf den Balkons der umgebenden Arbnbs, das offene Wohnzimmer der Stadt wird mit Verve und Kunstfertigkeit bespielt, die leuchtenden glänzenden Klänge der Zarzuela und die tiefgrundigen gewaltigen Klänge der Slawischen Tänze von Tschaikowsky werden auch vom vorwiegend lokalen Publikum dankbar angenommen.

Morgens machen wir immer etwas, um die Sommerpause vorzubereiten, Genua abnehmen oder eine fehlende Klampe am Steg organisieren, aber dann ist es heiß und wir sitzen matt unter unserem Mini – Bimini. Dabei gäbe es noch so vieles Lockendes in der Stadt und der Umgebung, hoffentlich ist es dann Ende August etwas erträglicher. Jetzt freue ich mich sehr auf die Heimfahrt, die Kinder und die langen hellen Abende, deren Kühle so wohltuend ist.


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