Cartagena

Cartagena

Tagsüber presst die Sonne die Gebirgsfalten flach, der Buntsandstein, graue Lavabrocken und ab und so schiefrige oder gipsige Einschlüsse- alles ist flach, als wäre es eine alte Fotoplatte mit Sepiatönen. Wir brechen in der letzten Dämmerung des frühen Morgens auf, die Farben sind feuchtigkeitssatt gebläut, die diffuse türkise Helligkeit modelliert jede Bruchkante, jede Erosionsfurche, die harten, weit voneinander entfernt stehenden und mageren Pflanzen verwischen sich in der Ferne zu eine weich scheinenden Krume.
Nach diesem Tagesbeginn schwächelt der Wind, alles wird diesig, man sieht nur grobe Konturlinen. Der Motor tuckert, auf Dauer ist der Lärm nervtötend.
Vor dem Cap Timon steht Buckelwelle und die Einfahrt nach Cartagena geht durch die Abenddüse.
Die Nebenbühne des Heavy Metal Festivals grenzt an den Hafen, bis weit in die Nacht hören wir Metal, das wie die irre Musik einer Dinosaurier Geisterbahn grunzt und raunzt, erstaunlich, was Stimme und Gerät hergeben.
Cartagena ist etwa eine Viertelmillion-Einwohner groß, lebt von Petrochemie und Energiewirtschaft, hat einen großen Militärhafen und eine U-Boot Basis, Militärakademie und Werft. Nachdem die alte Minenindustrie eingegangen ist und die Ölwirtschaft nicht mehr so stinkt, beginnt die Stadt ihre Vergangenheit als Tourismuspotenzial zu entwickeln, ein Kreuzfahrtterminal bringt sie herbei, der Hafen ebenfalls, Cartagena war nach der Gründung durch die Phönizier der Ausgangspunkt für Hanibals Zug nach Italien mit den berühmten Elefanten. Die Römer nahmen schließlich die Stadt ein und bauten den Hafen als wichtigsten spanischen Hafen aus, im Gefolge kam die gesamte Zivilisation mit Forum, Coliseum und Theater. Nach dem Zerfall des römischen Reiches kamen die Sueben, Vandalen, Byzantiner und Niedergang. Mit den Arabern kam ein wichtiger Aufschwung als Handwerker und Handelsplatz, der aber mit der Bindung der Energien der Araber durch die Rekonquista wieder niederging. Die Reyes Catolicos dann vertrieben Muslime und Juden, wieder Niedergang. Erst als der Hafen die Basis für die Kriege gegen die Engländer wurde, ging es wieder bergauf und in den Erbfolgekriegen bergab, mit der beginnenden Industrialisierung und Bergbauaktivität bergauf und mit dem Bürgerkrieg (Cartagena mit Alicante war die letzte republikanische Mittelmeerhafenstadt) wieder bergab. Oft haben sich die Zentren verschoben (vom Berg ins Tal, dann die Versandung der Bucht und Auffüllung), die Stadt ist verwinkelt, mit archäologischen Inseln oder nicht bebaubaren Bergen, Befestigungsanlagen allüberall. Die Stadt ist schwer zu entziffern.
Abends gehen wir hinter die Hauptbühne, die Skorpions spielen. Auf der Straße wird getanzt, man hat locker Platz. Eine Gruppe verschleierter Frauen flaniert auf und ab, irgendwann kommt ein römischer Soldat und später Mittelalterpersonal vorbei, vermutlich hat es irgendwo ein historisches Reenactment gegeben, wenige Versprengte der Aktivitäten zum Christopher Street Day machen das Bild bunter, ein kleines Häuflein nordafrikanisch aussehender Jugendlicher in Fusßballtrikots albert herum, einige Eltern mit kleinen Kindern, irgendwo titscht ein beleibter Mann in knallblauen T-Shirt auf und ab, seine Frau schaut sich befremdet um, ob es unangemessen ist, aber auch die Mädels im spanischen Partyoutfit recken die Fäuste in die Luft und bewegen die Köpfe im Takt der kajal-äugige Lockenkopf singt aus voller Brust und textsicher die Balladen mit. Soviel zu schauen hätten wir im Main Stage Bereich sicher nicht.
Wie flexibel doch Wind of Change ist- ein gelb blaues Peace-Zeichen, und schon kann man es unkaputtbar weiterbenutzen..
Cala Cortina ist mit dem Bus erreichbar, man hat das Freibadgefühl, Halbstarke mit dunklen Locken hören fransösichen Rap, Krabbelgruppen mit Schwangeren Muttis, erste Lieben, alles da.

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